Museum der Stadt Worms im Andreas­stift

Der Krieg in der Schublade

› Autoren lesen Texte vor, die keiner versteht. Künstler zerschneiden Fotos und kleben die Einzelteile neu zusammen. Wilde Ausdruckstänzer befreien sich von Tutu und Spitzenschuhen. Im Züricher Cabaret Voltaire entsteht 1916 der Dadaismus und mit ihm kehrt das Chaos in die Kunst ein. 1916 ist aber auch ein Jahr, in dem die weitreichenden Folgen des Ersten Weltkriegs zutage treten: die Massenvernichtung, die wirtschaftliche Not und die schrecklichen Schlachten, die sich 1916 monatelang in Verdun und an der Somme hinziehen. Auch darauf reagieren die Dadaisten mit ihrer Kunstrevolte.
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    Wunderwaffen: Unter dem Titel "Die neuen Mächte" hielt Paul Adolf Seehaus die neuen Kriesgtechnologien fest: Auf U-Boote montierte Geschütze nehmen ein Luftschiff unter Beschuss. Wesentlich düsterer …
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    … sind die Bronze-Reliefs des Bildhauers und Medailleurs Ludwig Gies, hier das "Kriesggericht" sowie …
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    … der "Totentanz", die zwischen 1914 und 1917 entstanden.
Beide Zeiterscheinungen liegen nun hundert Jahre zurück. Das Museum der Stadt Worms nimmt das zum Anlass für eine besondere Raritätenausstellung. Sie lenkt den Blick nicht auf die Dada-Kunst, auch nicht auf Namen wie Otto Dix und Max Beckmann, sondern sie zeigt vergessene Bilder, die sogenannten „heimlichen Künste der Schublade“: Die Grafik- und die Medaillenkunst, die abseits der offiziösen Malerei die verstörenden Seiten des Ersten Weltkriegs thematisieren. Die LETTER Stiftung in Köln hat diese Werke mit viel Sachverstand zusammengestellt. Manche sind seit rund hundert Jahren nicht mehr öffentlich gezeigt worden, manche sogar noch nie. Zu sehen sind zum Beispiel Kleinreliefs von Ludwig Gies, dem späteren Schöpfer des Bundesadlers im Bonner und Berliner Parlament.

Traumatische Erlebnisse

Als weiterer Bildbegleiter des Krieges trat die Künstlergrafik 1914 neben das traditionelle illustrierte Flugblatt. Zwar spiegeln einige Blätter offizielle Propaganda wider oder dienten dieser, doch wurden nicht wenige durch die Zensur missbilligt. Nach Themen geordnet zeigt die Schau eine Auswahl von Werken im Spannungsfeld zwischen trügerischer Idylle, schonungsloser Realitätskolportage und sinnsuchender Deutung. Patriotismus kollidiert mit Skeptizismus, Militarismus trifft auf Pazifismus.

Die meisten grafischen Zyklen entstanden in Deutschland. In Worms werden aber auch Beispiele aus anderen Ländern gezeigt. Einige Künstler konnten ihre traumatischen Kriegserlebnisse erst nach dem Krieg verarbeiten, da sie im Schützengraben nicht druckgrafisch arbeiten konnten. Besonders im deutschsprachigen Raum reflektierten sie dabei überlieferte Motivwelten wie den Totentanz.
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    Zeugnisse des Schreckens: In Worms sind zahlreiche Werke aus Mappen zu sehen, die verschiedene Künstler unter dem Eindruck des Grauens des Ersten Weltkriegs gestalteten. Dieses Bild stammt aus der Mappe "Krieg" des schlesischen Malers und Zeichners Willibald Krain.
„Die Ausstellung trägt der Vielgestaltigkeit des Krieges auch jenseits der vermeintlich spektakulären Kampfhandlungen Rechnung“, betont der wissenschaftliche Museumsleiter Dr. Olaf Mückain. „Sie widmet sich unter anderem den Kapiteln Verwundung und Pflege, Tod und Trauer, Vertreibung und Flucht, die Frau im Weltkrieg sowie den Kriegskindern und den fatalen Auswirkungen auf Familie und Gesellschaft.“ Diese waren auch in Worms zu spüren: Die Einwohner litten nach dem strengen Winter von 1916 auf 1917 verstärkt an Hunger, Mangel und Krankheiten. Und auch vorher hatte der Krieg schon Spuren hinterlassen: Bereits im Juni 1916 war es in der Stadt vereinzelt zu Hungerkrawallen und Plünderungen gekommen. ‹

Der Große Krieg im Kleinformat
18. Juni bis 18. September 2016
Museum der Stadt Worms im Andreasstift

Museum der Stadt Worms im Andreasstift

In einem der schönsten Gebäude von Worms, im vormaligen St. Andreasstift, präsentiert das Museum der Stadt Worms eine spannende Reise durch die Stadtgeschichte. Regelmäßige Sonderausstellungen greifen aktuelle Themen auf. Zum reichen Schatz des Museums gehören zahlreiche Grabungsfunde aus der Stadt und der näheren rheinhessischen Umgebung aus der Bronze- sowie der Jungsteinzeit. Nicht weniger eindrucksvoll ist die Römische Abteilung des Museums: Dort befinden sich Weiheinschriften, Altäre, Tafelgeschirr, prachtvolle Gläser und Krüge. Die Funde der Franken, die Worms um 500 n. Chr. besiedelten, bereichern die Sammlung und Luthers historisch bedeutsamer Auftritt vor dem Wormser Reichstag 1521 wird im Museum genauso gewürdigt wie die Stadtgeschichte des frühen Mittelalters bis zur Neuzeit.
AdresseMuseum der Stadt Worms im Andreasstift // Weckerlingplatz 7 // 67547 Worms // Telefon: 06241 853-4105/-4101 // E-Mail: museum@worms.de // Facebook: @Museum der Stadt Worms im Andreasstift // Instagram: @museum_andreasstift
ÖffnungszeitenDienstags bis sonntags sowie feiertags 11–17 Uhr, montags geschlossen
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