Wilhelm-Hack-Museum

Zwischen Porno und Picasso

› Herr Eikmeyer, Jonathan Meese wird eher mit dem großen Auftritt und seinen Gemälden, Installationen und Performances assoziiert. Wie kamen Sie auf die Künstlerbücher?
Das Medium Buch spielt von Anfang an eine bedeutende Rolle im Gesamtwerk. Bereits an der Kunsthochschule in Hamburg verwendet Meese Skizzenbücher, die schon die später für ihn typischen Text-Bild-Kombinationen enthalten, sowie Schulhefte, die für Kurzgeschichten und Gedichte genutzt werden. In vielen dieser frühen Beispiele finden sich Stempelungen wie „erledigt“ oder Gleichungen beziehungsweise Ungleichungen wie Tee ≠ Kaffee, was spätere Positionen der „Diktatur der Kunst“ vorwegnimmt.

Was sind stilbildende Elemente in den Büchern?
Seit Jahrzehnten arbeite ich zusammen mit dem Team des BUREAU JONATHAN MEESE am Gesamtkatalog aller Bücher des Künstlers. Je nach Zweck und verwendetem Material unterscheiden wir verschiedene Kategorien, deren Grenzen aber fließend sind. Wie immer bei Meese sind es die Extreme, die hier auffallen: Das reicht von sehr schmalen Heftchen bis zu riesigen, dickleibigen Folianten. Inhaltlich überwiegen ebenfalls die Kontraste, wenn etwa eingeklebte Fotos von bekannten Philosophen oder Komponisten wie Richard Wagner, Katalogseiten berühmter Maler wie Picasso auf Cover von Groschenromanen oder sogar ausgerissene Seiten von Pornoheften treffen. Das reizt und überfordert die Betrachter*innen, aber in diesem Reizgewitter und vor allem beim Umblättern hat sich das meistens schon wieder „erledigt“ oder neutralisiert.
  • MEESEBUCH=BUCHMEESE (KUNSTREISEN ZUM MITTELPUNKT DES ERZBUCHES) Foto © Stefan Thater
  • ERZMEESE'S BUCHKOMPOTT!, Foto: © Jochen Littkemann
Was unterscheidet die Bücher von anderen Arbeiten?
Das gehört alles zusammen, aber die Künstlerbücher nehmen tatsächlich eine besondere Stellung ein. An der Kunsthochschule hatte Meese eine riesige Wand, an die er alles hängte, was ihn gerade beschäftigte: Lieblingsstars, Filmplakate, Cover von Gruselromanen, Zeichnungen, eigene Fotos, Gedichte und verschlüsselte Textfragmente. Daraus verdichten sich Formeln, wie wir sie heute aus Meeses Manifesten und Interviews kennen: Kunst = Kunst oder Kunst ≠ Kultur. Die Wand oder die Wände sind eigentlich große Buchseiten. Meeses frühe Arbeiten waren ja vor allem riesige Installationen, in denen er auch auftrat. Die Malerei, für die sein Werk heute steht, kam erst um die Jahrtausendwende dazu.

Es sind Bücher aus den Jahren 1993 bis in die Gegenwart zu sehen. Was hat sich über die Jahre verändert?
Zu Beginn dominierten Motive wie Schatzsuche, Abenteuer und das Anderssein — von der Kritik als „Ästhetik des Jugendzimmers“ beschrieben. Doch Meeses Repertoire erweiterte sich schnell. Als er merkte, dass sein Werk zu leicht konsumierbar wurde, verdüsterte er Sprache und Palette. Historische Figuren und Denker traten neben Helden aus Serien und Groschenromanen. Aber für Meese hat keine dieser Positionen Bestand, die erledigen sich durch ihr Aufeinandertreffen — wie auf einer der Buchseiten — am Ende selber. Im Moment überwiegt wieder das Spielerische. Doch der wahre Schatz, um den es hier eigentlich geht, ist die Kunst selbst.

Wie wird die Schau denn aussehen?
Das Wilhelm-Hack-Museum zeigt zum ersten Mal eine konzentrierte Auswahl der Künstlerbücher in Vitrinen, aber gleichzeitig bespielen Astrid Ihle und ich — als Kurator*innen dieser Ausstellung — die Wände mit Fotokopien einzelner Bücher. Meese selbst wird für die Schau eine Wandinstallation entwickeln, die der Kernidee seines Gesamtwerks nahekommt: Das ist eine riesige Buchseite der Kunst, auf der alles auf alles trifft, bevor sie umgeschlagen wird. Mal sehen, vielleicht performt er am Abend der Eröffnung sogar in dieser Installation. ‹

Jonathan Meese (*1970 in Tokio) gilt als Enfant terrible der deutschen Kunstszene. Ab 1995 studierte er an der HFBK Hamburg, brach jedoch ab. 1998 wurde er mit „Ahoi der Angst“ auf der Berlin Biennale bekannt. Der in Berlin und Hamburg lebende Künstler propagiert die „Diktatur der Kunst“ als utopisches Konzept. Seine polarisierenden Arbeiten sind Thema kontroverser Debatten um Freiheit, Macht und Ideologie in der Kunst.

Kabinettstücke: Jonathan Meese. GESAMTKUNSTWERK „ERZBUCH“! (BUCH DER BÜCHER)
15. November 2025 bis 06. April 2026, Wilhelm-Hack-Museum
www.wilhelmhack.museum
Bildnachweis:
Liest Texte vor der Wand 1996 © Bureau Jonathan Meese

Wilhelm-Hack-Museum

Wahrzeichen des Wilhelm-Hack-Museums ist seine Keramikfassade, die Joan Miró 1980 gestaltete. Heute gilt das Haus als das wichtigste Museum für die Kunst des 20. und 21.Jahrhunderts in Rheinland-Pfalz. Seine Schwerpunkte liegen auf der Klassischen Moderne, aber auch auf der konstruktiv-konkreten Kunst nach 1945. Profilierte Sonderausstellungen, Workshops und ein breit gefächertes Veranstaltungsprogramm machen das Museum zu einem kulturellen Zentrum von Ludwigshafen.
TerminSA 15. November 2025 bis MO 06. April 2026
AdresseWilhelm-Hack-Museum // Berliner Straße 23 // 67059 Ludwigshafen // Telefon 0621 5043045 // E-Mail: hackmuseum@ludwigshafen.de
ÖffnungszeitenDienstag, Mittwoch & Freitag 11–18 Uhr // Donnerstag 11–20 Uhr // Samstag, Sonntag & Feiertage 10–18 Uhr
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