Kunsthalle Mannheim

Die Ausdruckskünstler

› Heute gehören Bilder wie Franz Marcs „Drei Tiere. Hund, Fuchs und Katze“ (1912) sowie Ernst Ludwig Kirchners „Gelbes Engelufer“ (1913) zu den Highlights der Sammlung der Kunsthalle Mannheim und zählen zu den Publikumslieblingen. Doch zu ihrem Entstehungszeitpunkt hatten expressionistische Werke wie jene noch Schockpotenzial für das an Salon-Kunst und Impressionismus gewöhnte Publikum. Das hielt die verantwortlichen Kunsthallen-Direktoren Fritz Wichert und Gustav Friedrich Hartlaub nicht davon ab, die neue Avantgarde zu fördern. Schon früh erkannten sie die Schlagkraft und die Bedeutung dieser neuen Strömung.

Zwischen 1914 und 1919 erwarben sie Werke von Max Pechstein, Emil Nolde, Erich Heckel, Carl Hofer, Franz Marc und Oskar Kokoschka — bis zum Jahr 1937 verfügte die Kunsthalle über eine Expressionisten-Sammlung, die zu den frühesten in deutschen Museen zählte. „Hartlaubs Strategie, sich als einer der ersten museal einem Thema zu widmen, griff nicht erst bei der Neuen Sachlichkeit, sondern bereits beim Expressionismus“, erklärt der heutige Direktor der Kunsthalle, Johan Holten. Nach der Neuen Sachlichkeit, so Holten weiter, sei deshalb vor der Neuen Sachlichkeit. „Mit unserer Sonderausstellung ‚Kirchner, Lehmbruck, Nolde. Geschichten des Expressionismus in Mannheim‘ lenken wir die Aufmerksamkeit auf einen weiteren bedeutenden Abschnitt unser Sammlungs- und Museumsgeschichte.“ 
  • Otto Lange, Dame in Grün, 1918/19, Kunsthalle Mannheim, Foto: Kunsthalle Mannheim / Cem Yücetas
  • Alexej von Jawlensky: Femina, 1922, Sammlung Fuchs-Werle, Foto: Thomas Henne, HENNE FOTODESIGN, Mannheim
Erstmals um 1910 wurde der Begriff „Expressionismus“ für die neue künstlerische Bewegung in Deutschland verwendet. Nach Impressionismus, Symbolismus und Jugendstil suchten viele junge Künstler*innen — nicht nur in Deutschland — nach einer zeitgemäßen Kunst. „Bei aller Unterschiedlichkeit war den Künstler*innen die Steigerung des Ausdrucks und der Emotion mittels starker, reiner Farbflächen und einer heftigen, von Spontaneität geprägten Malweise gemein“, erklärt Holten. „Die Formen wurden verfestigt und gleichzeitig zertrümmert. Charakteristisch waren zudem die Verzerrung der Perspektive und die Abkehr von der harmonisch ausgewogenen Komposition.“

Die Kritik an dieser neuen Ästhetik fiel mit der Machtübernahme der Nazis immer lauter und rigider aus. 1933 wurde Hartlaub seines Amtes enthoben und im Zuge der „Reinigung der Museen von entarteter Kunst“ im Jahr 1937 verlor die Kunsthalle rund 570 Werke, darunter zahlreiche Arbeiten der Expressionisten. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges bemühte sich Walter Passarge, seit 1936 Direktor, die Verluste zu ersetzen: Wenige der beschlagnahmten Bilder konnten wieder zurückerworben werden, daneben wurden auch Arbeiten der als „entartet“ verfemten Künstler*innen im Bereich Malerei erworben, so etwa das eingangs erwähnte Kirchner-Gemälde.
  • Franz Marc: Drei Tiere, 1912, Kunsthalle Mannheim, Foto: Kunsthalle Mannheim / Cem Yücetas
  • Erich Heckel: Fränzi liegend, 1910, Kunsthalle Mannheim, © Nachlass Erich Heckel, Hemmenhofen, Foto: Kunsthalle Mannheim / Cem Yücetas
Die aktuelle Sonderschau schlägt auch ein weiteres Kapitel der eigenen Geschichte auf. So zeigt das Haus seit seiner Gründung im Jahr 1907 immer wieder Einzel-, Themen- und Gruppen-Ausstellungen, die sich mit expressionistischer Kunst beschäftigten. 1917 war Erich Heckel eine Ausstellung gewidmet, 1919 Emil Nolde. 1918 zeigte die Kunsthalle die Gruppenausstellung mit dem Titel „Neue religiöse Kunst“.

Die aktuelle Ausstellung macht die Vielfalt der Epoche greifbar: 50 Gemälde, 100 Grafiken — und 30 Skulpturen sind zu sehen. „Die Rezeptionsgeschichte war lange auf Gemälde und Grafiken fokussiert, obwohl gerade die Skulptur einen wichtigen Beitrag leistete“, betont Luisa Heese, die zusammen mit Johan Holten, Ursula Drahoss und Dorotea Lorenz die Ausstellung kuratiert. „Es ging den Bildhauer*innen darum, innere Erfahrungen des Menschlichen zum Ausdruck zu bringen und dies durch Reduktion, De-Formation, gelängte Proportionen und oft auch derbe Materialien wie Steinguss oder Holz zu erreichen.“
  • Wilhelm Lehmbruck, Büste der großen Sinnenden, nach 1914, Privatbesitz Mannheim, Foto: Rainer Diehl
  • Wilhelm Lehmbruck, Bildnisbüste Sally Falk, 1916, Kunsthalle Mannheim, Foto: Kunsthalle Mannheim / Cem Yücetas
Dabei gibt es verschiedene Ausprägungen expressionistischer Skulptur. Ernst Barlach, Milly Steger oder Wilhelm Lehmbruck — dem Maler und Bildhauer ist ein Schwerpunkt in der Schau gewidmet — suchten den „metaphysischen“ Ausdruck, die Brücke-Mitglieder schufen ihre exotistisch-primitivistisch beeinflussten Holzskulpturen. Künstler wie Archipenko, Oswald Herzog, William Wauer und Rudolf Belling strebten radikaler in Richtung formale Abstraktion.

„Neben der Sammlungs- und Museumsgeschichte des Hauses soll auch ein kritischer Blick auf die Geschichte des Expressionismus geworfen werden“, kündigt Johan Holten an. Bei den grafischen Arbeiten, die in der Ausstellung zu sehen sind, wird der Blick der Expressionist*innen auf das „Fremde“, „Exotische“, ihre Aneignung nicht-europäischer Kunst und Kultur, kritisch bewertet. Auch erfolgt eine Einordnung der Haltung einzelner Künstler in der Zeit des Nationalsozialismus. Emil Nolde steht exemplarisch hierfür.

„Entstanden vor dem Ersten Weltkrieg, spiegelt diese Kunstrichtung eine Zeit tiefgreifender gesellschaftlicher Umbrüche — wie Urbanisierung und Industrialisierung — sowie politischer Spannungen wider“, erklärt Holten. Diese Spannungen entluden sich auch im künstlerischen Ausdruck. Rote Landschaften, blaue Menschen, zertrümmerte Formen — im Vorfeld der ersten großen Katstrophe, die Europa nachhaltig erschütterte, ging ein Vorbeben durch die Kunst. ‹

Kirchner, Lehmbruck, Nolde. Geschichten des Expressionismus in Mannheim

26. September 2025 bis 11. Januar 2026, Kunsthalle Mannheim
www.kuma.art
Bildnachweis:
Ernst Ludwig Kirchner, Roter Baum am Strand, 1913 © Sammlung Fuchs-Werle, Thomas Henne

Kunsthalle Mannheim

Die Kunsthalle Mannheim zählt mit ihren Spitzenwerken von Edouard Manet bis Francis Bacon und ihrem Skulpturenschwerpunkt zu den renommiertesten Sammlungen von deutscher und internationaler Kunst der Moderne und der Gegenwart. Hochkarätige Sonderschauen internationaler zeitgenössischer Kunst vervollständigen das Ausstellungsprogramm. Gezeigt werden sie im Kerngebäude, dem imposanten, frisch sanierten Jugendstilbau von Hermann Billing aus dem Jahre 1907. Bis 2017 entsteht außerdem ein zukunftsweisender Neubau, der die Ausstellungsfläche um rund 1.300 Quadratmetern erweitert.
TerminFR 26. September 2025 bis SO 11. Januar 2026
AdresseKunsthalle Mannheim // Friedrichplatz 4 // 68165 Mannheim // Tel. 0621 293 6413 // kunsthalle@mannheim.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr, Mittwoch 10–20 Uhr, 1. Mittwoch im Monat 18-22 Uhr (freier Eintritt)
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