Schlösser und Gärten Hessen

Schnippeln und Schmurgeln

› Die Hälften des Sesambrötchens klaffen auseinander. Dazwischen die glänzende Fracht, die sofort Appetit weckt: Der Käse schmilzt verführerisch, darunter lugt ein hauchzartes Gurkenscheibchen hervor, das Ketchup quillt fast wollüstig und ein leicht gebräunter Zwiebelring bildet eine freundliche Allianz mit einem Salatblättchen und saftigen Tomatenscheiben. Das Ganze stilecht im Faltkarton mit einer Schippe frischer, gesalzener Pommes. Ein klassischer Big Mac, allerdings kein echter, sondern ein Modell aus Kunststoff. Die Aufmerksamkeit der Teilnehmer des Mittelalterkochkurses ist trotzdem sofort geweckt.

Nur die Zwiebel bleibt übrig

Mit dem Burger geht es auf eine Reise um die Welt. Die Tomate? Kommt aus Amerika genauso wie das Ketchup, das außerdem Branntweinessig enthält. Die Destillation wurde in Mittelasien ersonnen und kam erst viel später nach Europa. Die Gurke? Sie ist um das Jahr 1000 aus dem slawischen Osten zu uns gelangt. Der Lollo rosso? Eine späte Züchtung, die aus der Wegwarte hervorgegangen ist. Sesam? Kommt aus Südasien. Schmelzkäse? Haben die Schweizer 1911 erfunden. Die Fritten? Die Kartoffeln stammen aus Amerika wie die Paprika oder der Maisgrieß, der für das Brötchen gebraucht wird. Von dem leckeren Burger bleibt der Zwiebelring als einzige Zutat, die es schon im Mittelalter gegeben hat. Ach ja, und das Rindfleisch.

Ist die mittelalterliche Küche also eine Geschichte des Mangels und der Geschmacklosigkeit? Der Historiker Ernst Schubert hat einmal gesagt, wer wissen wolle, wie das Mittelalter geschmeckt hat, der verrühre Haferflocken mit Wasser und verzehre das ohne Zucker. Dieser etwas trostlosen Aussage steht die gesamte Kochbuchliteratur des Mittelalters gegenüber. Es gibt sie, zugegebenermaßen, erst seit dem 14. Jahrhundert. Ältere Rezepte verdanken wir der medizinischen Literatur. Wie dem Lorscher Arzneibuch und der in Lorsch durch eine eigene Memoria geehrten Hildegard von Bingen, von der es, nebenbei bemerkt, kein einziges Kochbuch gibt.

Gepökeltes und Geräuchertes

Natürlich bestimmen verschiedene Faktoren die mittelalterliche Ernährung. Vor allem die Jahreszeiten: keine Erdbeeren im Dezember, keine Eier im Winter, kein frisches Fleisch, dafür milchsauer vergorenes Gemüse, Gepökeltes, Geräuchertes. Zudem ist der soziale Status entscheidend und ob man auf dem Land lebt oder in der Stadt. Fleisch gibt es durch die Epochen mal mehr, mal weniger — am wenigsten im 19. Jahrhundert, am meisten im Spätmittelalter. Getreide spielt selbst in der gehobenen Küche eine große Rolle: für die Herstellung von Brot, von Pasteten, aber auch den ersten Nudelteiggerichten, die es schon lange vor Marco Polo gab.
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    Immer mit der Ruhe – Gekocht wird am offenen Feuer oder im Kugelofen, die Zubereitung dauert deutlich länger als in der modernen Küche.
Gekocht wird am offenen Feuer und im Kugelofen. Das Kochgeschirr ist aus Keramik und Eisen. Und alles dauert sehr viel länger. Das liegt daran, dass alle Zutaten kleingeschnitten werden müssen und man die Kochkeramik nicht sofort maximaler Hitze aussetzen kann. Rauch und Hitze sowie das Fehlen elektrischer Hilfen machen schnell klar: Mittelalterlich kochen ist Arbeit, harte Arbeit. Bbis es etwas zu essen gibt, vergehen Stunden.

Ritter statt Rüpel

Bleiben die Speisen selbst. Mancherorts werden heute „Mittelaltermahle“ zelebriert, bei denen man die abgenagten Knochen hinter sich wirft, die Messerklinge in den groben Holztisch rammt, seine Tischnachbarin belästigt und sich die fettigen Hände am Tischtuch abwischt oder — schlimmer geht’s kaum — sich trötend in die Serviette schnäuzt. Bei solchen Gelagen hüpfen auch mal Gaukler herum und kommen Halsgeigen und viel schrecklich mehr zum Einsatz. „Diese Art von Unterhaltung ist uns fern“, betont Hermann Schefers, Leiter der Welterbestätte. Im Kloster Lorsch herrschen bei den mittelalterlichen Koch-Events vornehme Tischmanieren, das Essen wird zu einer Art Liturgie. „Wir reichen dem anderen das Wasser und überbieten uns gegenseitig in Ritterlichkeit und gepflegter Kommunikation“, berichtet Schefers. Alles andere sei das Merkmal von Grobianen, deren schlechtes Beispiel eine eigene Literaturgattung der Frühneuzeit hervorgebracht habe. Aber da war das angeblich so düstere Mittelalter bekanntlich längst vorbei. ‹


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Kochen wie im Mittelalter
Der Kochkurs entführt in die Küchen der spätmittelalterlichen Oberschicht. Auf der Grundlage originaler Rezeptüberlieferungen des 14. und 15. Jahrhunderts bereiten alle Beteiligten ein opulentes Menü an einer offenen Herdstelle und im Kugelbackofen zu. Zubereitet, gekocht und gegessen wird mit Geschirr- und Kochrepliken, die für diese Zeit belegt sind. Bitte melden Sie sich bis spätestens eine Woche vor der Veranstaltung an!
14. Juli/25. August/16. September 2018, jeweils ab 11 Uhr (Dauer: ca. 4 Stunden)
Besucherinformationszentrum (Garten)
45 Euro p. P. (ohne Getränke)
Anmeldung unter info@kloster-lorsch.de oder 06251 51446
Bildnachweis:
Kloster Lorsch

Staatliche Schlösser und Gärten Hessen

Das UNESCO-Weltkulturerbe Kloster Lorsch ist das bedeutendste Bauwerk, das die Hessische Schlösserverwaltung in der Metropolregion Rhein-Neckar betreut. Sein Freilichtlabor Lauresham zieht wie auch der romantische Staatspark Fürstenlager in Bensheim-Auerbach Jung und Alt an. Außerdem gehören auch die Burgen Auerbacher Schloss und Hirschhorn zum Einzugsgebiet der Hessen sowie das Erbacher Schloss mit den gräflichen Sammlungen und dem Deutschen Elfenbeinmuseum. Ein weiteres Kleinod ist die Einhardsbasilika in Michelstadt-Steinbach, eines der letzten Beispiele authentisch erhaltener karolingischer Architektur.
AdresseStaatliche Schlösser und Gärten Hessen // Schloss // 61348 Bad Homburg v.d.Höhe // Telefon: 06172 9262-0 // E-Mail: info@schloesser.hessen.de
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