Kurpfälzisches Museum

Schätze aus Odessa

› Die Aktion ist spektakulär: Unmittelbar nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine gelingt es dem Odessaer Museumsdirektor Ihor Poronyk, die wertvollsten Exponate seiner Sammlung zu evakuieren. In einer Nachtaktion löst sein Team sie aus ihren Rahmen, verpackt sie sorgfältig und transportiert sie mehr als 2.000 Kilometer von der Schwarzmeerküste in die Westukraine. Dort finden sie Schutz in einem alten Schloss. Allerdings sind dort die klimatischen Bedingungen nicht geeignet, um alte Meisterwerke zu lagern. Deshalb versucht Poronyk, mit Kolleg*innen in Berlin zu kooperieren. Mit Erfolg: 2023 bringt er die Werke unter hohen Sicherheitsauflagen in die deutsche Hauptstadt. Dort werden sie konservatorisch behandelt, neu gerahmt und in der Berliner Gemäldegalerie präsentiert.

Eine sanfte Madonna und eine Verwandte Tolstois

Zu den Highlights der Werke aus Odessa zählen eine sanfte Madonna des Michelangelo-Freundes Francesco Granacci, ein prachtvolles Stillleben mit Hummer, Austern und Weintrauben des Niederländers Cornelis de Heem und die melancholische Olena Tolstoi, eine entfernte Verwandte des Dichters Leo Tolstoi, eingehüllt in eine seidene Stola. Diese und 71 weitere Gemälde haben die Mitarbeiter*innen des Museums für Westliche und Östliche Kunst gerettet. Einen Großteil davon präsentiert das Kurpfälzische Museum in der Ausstellung „Meisterwerke aus Odesa“.
  • Meisterwerke – Zu den Höhepunkten der Sammlung aus Odessa gehört die „Thronende Madonna“ (1519) von Francesco Granacci, den eine lebenslange Freundschaft mit Michelangelo verband, sowie …
  • … „Sonniger Tag mit spielenden Mädchen“ (1895), ein Gemälde des belgischen Impressionisten Emile Claus.
Die Ausstellung, die von Oktober bis März dauert, zeigt eindrucksvoll, wie westlich orientiert das Odessaer Museum ist. Es residiert in einem eleganten Palais aus dem 19. Jahrhundert und dient den Bewohner*innen bis heute als Begegnungsort. „Wir sind nicht der Hinterhof Europas“, betont Poronyk in einem Fernsehinterview. Seit jeher pflegen Intellektuelle und Bürgertum Kontakte in den Westen. So befindet sich im Jahr 1875 auch die schöne Olena Tolstoi mit ihrem Mann
auf Italienreise, als sie Domenico Morelli, ein führender Maler Neapels, auf die Leinwand bannt.

Eine echte Entdeckung sind die beiden Evangelisten-Darstellungen von Frans Hals. Zusammen mit zwei weiteren Evangelisten-Bildern sind sie die einzigen religiösen Werke im Werk von Frans Hals. Katharina II. hatte sie 1771 für ihre Sammlung erworben und nach St. Petersburg bringen lassen. Erst viel später gelangten die Gemälde der Evangelisten Lukas und Johannes in das Museum für Westliche und Östliche Kunst. Dort wurden sie — die korrekte Zuschreibung war in der Zwischenzeit verloren gegangen — 1959 als Werke von Frans Hals wiederentdeckt.

Der gute Draht nach Berlin

Dass die Ausstellung nun Station in Heidelberg macht, ist dem guten Draht des Hauses nach Berlin zu verdanken. Dagmar Hirschfelder, die Direktorin der dortigen Gemäldegalerie, leitete früher die Gemälde-Abteilung des Kurpfälzischen Museums. Ihre Nachfolgerin Julia Carrasco hält das Projekt aus mehreren Gründen für einen Glücksfall: „Odessa und uns verbindet vom Profil her vieles. Beide Gemäldesammlungen haben ähnliche Schwerpunkte, sowohl thematisch als auch was das zeitliche Spektrum angeht.“ Zudem seien beide Sammlungen sehr stark von bürgerlichem und privatem Engagement geprägt.
  • kurpfälzisches museum heidelberg odessa Cornelis de Heem
    Prachtvoller Bau: das 1923 gegründete Odesa Museum für Westliche und ­Östliche Kunst befindet sich in einem Palais des 19. Jahrhunderts in der historischen Altstadt (Foto: Oleksandr Sinelnykow)
Die enge kunsthistorische Verbindung beider Institutionen wird in Dialogen zwischen den ausgestellten Werken deutlich. Ein Viertel der Gemälde aus Odessa bekommt einen Partner aus der Heidelberger Sammlung. Dem intimen Porträt des Italieners Johann Baptist Lampi aus dem 18. Jahrhundert, das seine Frau beim Stillen zeigt, ist etwa das Familienporträt von Franz Anton Leitenstorffer aus dem Kurpfälzischen Museum gegenübergestellt. „Man sieht daran, wie im Zeitalter der Empfindsamkeit private Themen plötzlich wichtig werden“, sagt Carrasco. Darüber hinaus lässt sich die frühbarocke Ecce-Homo-Szene des Italieners Bernardo Strozzi mit der des flämischen Zeitgenossen Simon de Vos vergleichen. Bei Strozzi führt Pontius Pilatus mit großer Geste den gemarterten Jesus vor. „Geht es bei ihm eher um die Psychologie der Figuren, hebt das Heidelberger Gemälde von Vos das Stadtpanorama und die kompositorische Gestaltung der Massenszene hervor“, betont Carrasco.

Kunst kann Brücken bauen

Nicht nur diese Beispiele veranschaulichen, welch wertvolle Schätze die Sammlung aus Odessa besitzt. Das „Paradies“ von Roelant Savery, einem Experten für Tierdarstellungen, der das Goldene Zeitalter der Niederlande mitprägt, gehört ebenfalls dazu. Mit feinem Pinsel und einer breiten Palette an Brauntönen entfaltet er im Vordergrund eine paradiesische Tierwelt, während in blauer Ferne der Sündenfall angedeutet ist. Und auch das Gemälde „Streit der Kutscher“, eine Kampfszene von Jules-Alexis Muenier, ist von starker Ausstrahlungskraft. „Es ist kompositorisch und vom Licht her absolut ungewöhnlich“, ist Carrasco begeistert. Und so zeigt die Ausstellung, wie Kunst Brücken bauen kann. Dass Heidelberg und Odessa unabhängig davon eine Städtepartnerschaft geschlossen haben, gibt der Ausstellung sicherlich zusätzlichen Schwung. ‹


Meisterwerke aus Odesa
19. Oktober 2025 bis 22. März 2026
Kurpfälzisches Museum, Heidelberg
www.museum-heidelberg.de
Bildnachweis:
Cornelis de Heem, Stillleben mit Hummer, 2. Hälfte 17. Jh., Öl auf Leinwand, Odesa Museum für Westliche und Östliche Kunst / Foto: Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin / Eigentum des Odesa Museums für Westliche und Östliche Kunst / Christoph Schmidt

Kurpfälzisches Museum

Kunst und Kultur in der Heidelberger Altstadt bietet das Kurpfälzische Museum. Mit seinen vielfältigen Beständen und deren Schwerpunkten Archäologie, Gemälde und Grafiik, Kunsthandwerk und Stadtgeschichte lädt es zu einer faszinierenden Entdeckungsreise ein, von den ersten Siedlungsspuren im Rhein-Neckar-Raum bis zu Werken der Klassischen Moderne von Beckmann, Slevogt und Corinth. Die kostbaren Bestände des Kunsthandwerks — Silber, Porzellan und Möbel — können im historischen Palais Morass bewundert werden, der „Windsheimer Zwölfbotenaltar“ von Tilman Riemenschneider in einer Sonderpräsentation.
AdresseKurpfälzisches Museum // Hauptstraße 97 // 69117 Heidelberg // Telefon: 06221 58–34020 // E-Mail: kurpfaelzischesmuseum@heidelberg.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr
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