Marchivum

Nicht vergessen

› Am 22. Oktober 1940, am letzten Tag von Sukkot, dem jüdischen Laubhüttenfest, sowie am darauffolgenden Tag wurden mehr als 6.500 Jüdinnen und Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland ins Internierungslager Gurs deportiert. „Dies war eine der ersten organisierten Verschleppungen von jüdischen Deutschen aus ihrer Heimat“, sagt Historiker Christian Groh vom MARCHIVUM. „Die Gauleiter Bürckel und Wagner handelten wohl in vorauseilendem Gehorsam.“ Erst ein Jahr später begannen die systematischen Deportationen aus dem gesamten Deutschen Reich in den Osten.

Die von der Deportation überraschten französischen Behörden leiteten die Transporte in das Lager am Fuße der Pyrenäen. Nur einige hundert Inhaftierte konnten fliehen oder wurden von Hilfsorganisationen gerettet, mehr als tausend Menschen starben unter den katastrophalen Bedingungen. Zwischen 1942 und 1944 organisierten SS und Polizei die Deportation der im Lager Verbliebenen nach Auschwitz-Birkenau und Sobibor, wo fast alle ermordet wurden. An diese Verbrechen und ihre Nachgeschichte erinnert die Ausstellung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, die in Kooperation mit vielen Partner*innen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Frankreich sowie dem Auswärtigen Amt entstanden ist und nun im MARCHIVUM Station macht.

Teil der Ausstellung ist auch eine Fotoserie aus Ludwigshafen, einem von drei Sammelpunkten in der Pfalz. Die 21 Aufnahmen dokumentieren den 22. Oktober 1940: 420 Männer, Frauen und Kinder versammeln sich mit wenigen Habseligkeiten im Hof der Max-Schule im Stadtzentrum, bevor sie zum Ludwigshafener Güterbahnhof gebracht werden. Von dort fahren die Züge nach Frankreich. Gemeinsam mit der Berliner Gedenkstätte „Topographie des Terrors“ und dem Stadtarchiv Ludwigshafen hat das MARCHIVUM die Fotografien im Band „Die Tat im Bild“ veröffentlicht, begleitet von aktuellen Forschungstexten.

„Wir stellen ihn im Rahmen der Ausstellung in der Jüdischen Gemeinde vor“, sagt Groh. Denn von dort aus gelangten die Bilder ins MARCHIVUM: Das jüdische Ehepaar Alsbacher, das selbst nach Gurs deportiert wurde und die Shoa überlebte, kehrte kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in seine Heimatstadt Ludwigshafen zurück. Als Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Mannheim übergaben sie dieser Ende der 1960er-Jahre die Bilder, 1971 kamen die Aufnahmen ins Mannheimer Stadtarchiv. „Ein herausragendes dokumentarisches Zeugnis — aber viele Fragen bleiben“, erklärt Groh. Die Aufnahmen entstanden bei Tageslicht und zeigen Opfer wie Täter aus nächster Nähe. Vieles deutet darauf hin, dass sie im offiziellen Auftrag gemacht wurden — doch warum genau sie entstanden sind und wie sie in den Besitz des Ehepaars gelangten, bleibt unklar.

Ihr Dokumentarcharakter ist trotz der offenen Fragen ungebrochen: „Die Fotos beweisen, dass das Unrecht inmitten der Städte und unter den Augen der Öffentlichkeit stattgefunden hat“, betont Groh. Die Serie ist in Teilen übrigens auch in der Dauerausstellung zur NS-Geschichte im MARCHIVUM zu sehen, wo die Besucher*innen parallel zur Sonderschau tiefer in die Materie eintauchen können. ‹

Tipp! Buchvorstellung „Die Tat im Bild — die Deportation von Jüdinnen und Juden aus der Pfalz nach Gurs“, 20.10.2025, 19 Uhr, Jüdische Gemeinde, F3, Mannheim

Gurs 1940
bis 09. November 2025, MARCHIVUM, Mannheim
marchivum.de
Der Eintritt ist frei. Weitere Veranstaltungen des Begleitprogramms unter marchivum.de
Bildnachweis:
Bildserie MARCHIVUM, Aufnahmen vom 22.Oktober 1940
Deportation der pfälzischen Juden von Ludwigshafen aus, Gepäckverladung
Deportation der pfälzischen Juden von Ludwigshafen aus, Auf dem Schulhof

MARCHIVUM

Das MARCHIVUM ist Mannheims Archiv, Haus der Stadtgeschichte und Erinnerung. Es ist aus dem Stadtarchiv Mannheim — Institut für Stadtgeschichte hervorgegangen. Mit dem Einzug in das neue Haus erhielt das Stadtarchiv Mannheim — ISG zum 1. März 2018 den Namen MARCHIVUM. Dieser Name drückt das neue Selbstverständnis der Institution aus, die sich zu ihrer Tradition bekennt und zugleich neuen Entwicklungen offen steht. Das MARCHIVUM ist die erste Adresse für alle Fragen zur historischen Entwicklung Mannheims und steht allen offen, die sich für die Geschichte dieser Stadt interessieren. Zudem bietet das MARCHIVUM regelmäßig Vorträge zu stadtgeschichtlichen Themen an. Im Laufe des Jahres 2020 werden die vielfältigen Angebote durch die Stadtgeschichtliche Ausstellung und das NS-Dokumentationszentrum erweitert.
AdresseArchivplatz 1 // 68169 Mannheim // Tel. 0621 293-7027 // marchivum@mannheim.de
ÖffnungszeitenDienstag, Mittwoch, Freitag 8–16 Uhr // Donnerstag 8–18 Uhr // Feiertags geschlossen
facebooktwitterg+Mail