› Jazz soll tot sein? Wer behauptet denn sowas?! Na, zwei Männer mit Expertise und Geschichte: Ali Shaheed Muhammad, legendärer DJ von A Tribe Called Quest, und Adrian Younge, Produzent unter anderem von Kendrick Lamar. Gemeinsam haben sie ein Label gegründet, das den leicht provokativen Namen „Jazz Is Dead“ trägt. Die erste Veröffentlichung ging seinerzeit aus einer Konzertreihe in Los Angeles im Rahmen des Black History Month 2018 hervor — verdiente Jazzmusiker*innen, die dort auftraten, nahmen zusammen mit Muhammad und Younge jeweils einen Song in den bewusst analog eingerichteten Linear Labs Studios auf. Mit dabei waren unter anderen der Saxofonist Gary Bartz, der mit Miles Davis, McCoy Tyner oder Art Blakey arbeitete, und Brian Jackson, langjähriger musikalischer Partner von Gil Scott-Heron. Inzwischen sind fantastische Alben erschienen — mit Marcos Valle, Roy Ayers oder Tony Allen –, und all diese Aufnahmen belegen eines: Jazz isn’t dead. Da Younge und Muhammad mit allen musikhistorischen Wassern gewaschen und theoretisch auf diversen Meta-Ebenen unterwegs sind, muss man den Label-Namen also unbedingt ironisch lesen. Und als Lockmittel für Leute, für die Jazz vielleicht ein bisschen komisch riecht.
Das Enjoy Jazz Festival lädt in diesem Jahr erstmals keinen einzelnen Künstler oder eine Künstlerin als Artist in Residence in die Metropolregion ein, sondern besagtes kalifornisches Label. Drei unterschiedliche Besetzungen werden am 7. November den „Jazz Is Dead“-Abend zu einer rauschenden Feier der langen Geschichte des Jazz machen: Man darf sich auf Adrian Younge samt Band, Bilal und Band sowie das Gary Bartz Quartet freuen.Freuen ist das richtige Stichwort: Das 27. Enjoy Jazz Festival bietet dazu in diesem Herbst jedenfalls genug Anlässe. Wirft man auch nur einen flüchtigen Blick ins Programm, lässt sich eines mit Gewissheit sagen: Keine Spur von Leichenblässe, morbidem Dahinsiechen oder auch nur Ermüdungserscheinungen. Im Gegenteil: Festivalleiter Rainer Kern und sein Team haben rund um das Motto „Knowing“ — eine Verpflichtung zu wissensbasiertem Handeln, Aufklärung, Bildung, Demokratieförderung — ein musikalisches Programm zusammengestellt, das die gesamte Breite und Tiefe des Jazz (und anderem) abdeckt. „Schwindel vor Glück“Nur ein paar Beispiele: Johanna Summer und Malakoff Kowalski präsentieren ihr erstes Duo-Programm, bei dem Fantasiereichtum auf die elegante Kunst der Sparsamkeit trifft, Gedichte von Allen Ginsberg eine Rolle spielen und das entstehen dürfte, was Kowalski beim Hören der Pianistin Summer empfindet: ein „Schwindel vor Glück“.Vor Glück schwindelig dürfte es einem auch bei einer Weltpremiere in der Alten Feuerwache in Mannheim werden: Der britische Saxofonist und Flötist Shabaka — seines Nachnamens Hutchings hat er sich inzwischen entledigt — und der südafrikanische Pianist Nduduzo Makhathini sind ein Traum-Match, dem das Festival die gebührende Bühne bereitet: Die eloquente, rhythmisch aufgeladene Intensität Shabakas trifft auf das von Abdullah Ibrahim beeinflusste, immens kraftvolle und melodisch reizvolle Spiel des Heilers Nduduzo Makhathini. Nicht weniger als Magie ist an diesem Abend zu erwarten.Entdeckung im im Enjoy Jazz Pop-up SpaceEine Preziose ist bei einer Matinee zu entdecken. Camila Nebbia, 1987 in Buenos Aires geboren und eine der aufregenden Persönlichkeiten der lebendigen Berliner Echtzeitmusik-Szene, wird ein freies Solokonzert im Enjoy Jazz Pop-up Space Heidelberg spielen. Was sich alles mit einem Tenorsaxofon anstellen lässt — Nebbia wird es vorführen.Apropos Tenor: Ist er auf dem Sprung zum Superstar — oder ist er es nicht schon längst? Der amerikanische Ausnahmesaxofonist James Brandon Lewis ist mit seinem exzellenten Quartett in Heidelberg zu Gast. Sonny Rollins taugt als Referenzgröße im vielseitigen Schaffen von Lewis, aber da ist noch viel mehr. „Sein Ton, rau und kräftig, zuweilen von der rauchigen Wärme Coleman Hawkins’ und des späten Bluesman Archie Shepp durchdrungen, sucht seinesgleichen“, schreibt die FAZ über ihn.
Über Vijay Iyer und Wadada Leo Smith muss man dagegen kaum Worte verlieren. Nur so viel: Zwei Generationen von Innovatoren treffen im BASF-Gesellschaftshaus aufeinander. Ebenfalls ein spannendes Zusammentreffen, ebenfalls Klavier und Trompete, und dann noch zum ersten Mal: Tania Giannouli und Nils Petter Molvær. Aus unterschiedlichen Richtungen kommen die beiden. Was sie verbindet, ist die unbeschreibliche Fähigkeit, hypnotische Soundscapes zu schaffen, und das im passenden Ambiente der Friedenskirche Ludwigshafen.Zwischen Momenten des Chaos und klanglicher Schönheit bewegen sich die Young Mothers. Der Bassist Ingebrigt Håker Flaten hat ein norwegisch-amerikanisches Ensemble kreiert, das Improvisation mit Hip-Hop, Funk, Hard- und Grindcore vermischt — eine Wucht.Erwachen Sie mit!Jazz ist eine äußerst lebendige Angelegenheit, eben weil sie aus dem Moment heraus entsteht und in ihren tollkühnen Wendungen von keiner KI nachempfunden werden kann. Beispiel: der israelische Pianist Shai Maestro. Er will, sagt er, etwas „Echtes“ schaffen. Und das macht er so gut, dass All about Jazz im Brustton der Überzeugung schrieb, ihn zu hören, sei so, „als würde man in einer neuen Welt erwachen“. Erwachen Sie mit!Ganz echt und einflussreich und wegweisend ist der südafrikanische Pianist Abdullah Ibrahim — und das seit sieben Jahrzehnten. Mit seinem neuen Trio kommt dieser monumentale Musiker, Komponist, Aktivist in den Pfalzbau Ludwigshafen — mit seinen 90 Jahren ist er noch immer ein Ereignis. Und das gilt nicht minder für den drei Jahre jüngeren, wahrhaft beseelten Saxofonisten und Flötisten Charles Lloyd. Sein Sky Quartet mit Jason Moran, Larry Grenadier und Eric Harland hat letztes Jahr bei Blue Note ein sensationell frisches Album vorgelegt. In der Christuskirche Mannheim wird er ein Encore-Konzert geben, das — dafür muss man kein Prophet sein — nach Zugaben verlangen dürfte. Langer Rede kurzer Sinn: Jazz ist nicht tot, und er ist niemals totzukriegen. Er riecht nicht mal komisch!. ‹
Enjoy Jazz Festival
02. Oktober bis 08. November 2025
diverse Locations in der Rhein-Neckar-Region
www.enjoyjazz.de
Enjoy Jazz Festival
02. Oktober bis 08. November 2025
diverse Locations in der Rhein-Neckar-Region
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Bildnachweis:
onerpmstudios (Aufmacherbild)Enjoy Jazz Festival
Seit seiner Premiere 1999 hat sich Enjoy Jazz zu einem international renommierten Festival und zum größten Jazzfestival Deutschlands entwickelt. Neben Legenden wie Ornette Coleman oder Wayne Shorter präsentiert das „Internationale Festival für Jazz und anderes“ immer auch die Größen der jüngeren Jazzgeneration und spannt den Bogen zu angrenzenden Genres wie Weltmusik, Elektronik, Hip-Hop und Klassik. Komplettiert werden die rund 70 Konzerte durch Workshops, Matineen, Partys und Vorträge.
TerminDO 02. Oktober bis SA 08. November 2025
AdresseEnjoy Jazz GmbH // Bergheimer Straße 153 // 69115 Heidelberg // Tel: 06221 5835850 // E-Mail: info@enjoyjazz.de
SpielorteVerschiedene Orte in und rund um Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen
Infoswww.enjoyjazz.de