Hambacher Schloss

Eine Mark mehr für alle!

„Komm ich erzähl dir vom Ford-Streik / Nein, es war nicht sofort Streik / Sie haben erstmal lange ausgehalten / von Ärger immer rausgehalten“, rappt Eko Fresh in einem Videotrailer für das Musical „Baha und die wilden 70er“. Der Musiker, der um die Jahrtausendwende zu den prägenden Stimmen des Deutschrap gehörte, steht dabei vor einem Werkstor — umgeben von einer Gruppe Musiker*innen und einem weiteren Solisten: seinem Vater Nedim Hazar Bora. Der Leiter des Sanat Ensembles ist kreativer Kopf hinter der Produktion über den Ford-Streik im Jahr 1973, die im Oktober in Köln Premiere feiern wird. Der Titelsong „Eine Mark mehr für alle“ gibt einen ersten Vorgeschmack.

Dass das Musical im November als Gastspiel auf dem Hambacher Schloss zu sehen sein wird, ist kein Zufall: „Die Ford-Streiks sind ein Teil der deutschen Geschichte, vielmehr Teil der deutschen Demokratiegeschichte“, sagt Hazar. Dennoch sind diese häufig als Türken- oder wilde Streiks bezeichneten migrantischen Arbeitskämpfe im kollektiven Bewusstsein nur wenig präsent.

1973 kam es im Ford-Werk Köln-Niehl zum größten „wilden Streik“ der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. Rund 12.000 Arbeiter, überwiegend aus der Türkei und Südeuropa, legten im August spontan die Arbeit nieder. Anlass war die fristlose Kündigung von rund 300 türkischen Kollegen, die nach dem Sommerurlaub verspätet aus der Heimat zurückkehrten. Eine Reise in die Türkei war damals eine strapaziöse Angelegenheit, oft eine lange Fahrt mit dem Auto, die Reisezeiten waren schwer planbar, deshalb war es in den Jahren zuvor den Arbeitern immer erlaubt gewesen, den Ausfall durch Zusatzschichten auszugleichen.
  • Kreativer Kopf – Nedim Hazar Bora leitet das Sanat Ensemble.
Die Streikenden forderten nicht nur ihre Wiedereinstellung, sondern auch höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, weniger Fließbanddruck und mehr Respekt gegenüber migrantischen Beschäftigten. „Es war nicht nur so, dass die sogenannten Gastarbeiter*innen weniger Lohn bekamen als ihre deutschen Kolleg*innen, sie hatten auch die schlechteste Arbeit. Die sogenannte lokale Fertigung bei Ford wurde von den Arbeitern oft in Anlehnung an den damaligen Krieg als Vietnam bezeichnet“, berichtet Hazar. Die Gewerkschaft IG Metall distanzierte sich von den Streikenden, Betriebsrat und Polizei gingen brutal gegen den Streik vor. Nach einer Woche endete der Arbeitskampf ohne große Zugeständnisse — einige Streikende wurden festgenommen, darunter auch der charismatische Streikführer Baha Targün, um den sich die Handlung des Musicals entspinnt.

Dass das Sanat Ensemble diese Ereignisse zum Gegenstand eines Musicals macht, ist nicht nur der Zeitgeschichte geschuldet, sondern auch der Art, wie die Streiks geführt wurden. „Wir machen eine Show, die unterhält“, verspricht Hazar. „Das entspricht auch der Atmosphäre, die damals herrschte. Nachts wurde zusammen gegessen, getanzt, viele Künstler*innen und Kreative kamen und haben sich mit den Streikenden solidarisiert. Das war eine richtige Party.“
  • Musical mit Ansage – das Sanat Ensemble erzählt mit „Baha und die wilden 70er“ von den Ford-Streiks in Köln.
In der Musik liegen auch die Wurzeln des Sanat Ensembles: Für die Konzertreihe „Deutschlandlieder — Almanya Türküleri“ fanden sich die Musiker*innen zusammen und tourten 2021 und 2022 durch Deutschland und die Türkei. Parallel dazu entstand der gleichnamige Musikdokumentarfilm von Hazar, der auch Filmemacher ist. „Das Musical ist eine Art Weiterführung“, berichtet er. „Denn im Rahmen der Konzertreihe ging es um das Liedgut der Gastarbeitergeneration mit Stars wie Yüksel Özkasap, deren Alben sich über 800.000 Mal verkauft haben und die trotzdem nicht Eingang in die deutschen Hitparaden fanden.“

Die Songs des Musicals sind Cover von Hits von Janis Joplin bis Hannes Wader, türkische Lieder und eigene Kompositionen. Dargeboten werden sie von einer Rockband und einem Streich-Trio. Ein Mix aus Rock, Rap und Ethno-Sounds bildet den Klangteppich, bei dem E-Gitarre und die traditionelle türkische Laute Bağlama gleichermaßen ihren Auftritt haben. Den Rest der 22-köpfigen Besetzung bilden Schauspieler*innen und Zeitzeug*innen. „Wir werden sogar zwei Streikende von damals mit auf der Bühne haben, die mittlerweile beide über 80 Jahre alt sind“, verrät Hazar. Er und das Sanat Ensemble werden in Köln, Hambach und noch an vielen weiteren Orten die wilden Siebziger und gleichzeitig ein Geschichtskapitel aufleben lassen, das bis heute als Vorbild für viele Kämpfe für Teilhabe, Gerechtigkeit und Demokratie gilt. ‹

Baha und die wilden 70er
13. November 2025, 19 Uhr, Festsaal, Hambacher Schloss
hambacher-schloss.de


Nicht verpassen — Gesprächsformate im Herbst

Hambacher Gespräch I
„Arm und ausgeschlossen? Soziale Sicherheit als Kitt der Demokratie“ — Über das Thema Armut, politische Instrumentarien sowie soziale Auswirkungen diskutieren die Ministerin für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung des Landes Rheinland-Pfalz Dörte Schall und Silke van Dyk, Professorin für Politische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
07. Oktober 2025, 19 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung an hambachergespraech@hambacher-schloss.de

SWR Demokratieforum Hambacher Schloss
Zum Thema „Demokratie & Journalismus — Verantwortung in Zeiten des Wandels“ diskutiert Moderator Michel Friedman mit seinen Gästen Anette Dowideit, stellvertretende Chefredakteurin von CORRECTIV, Peter Müller, ehemaliger Verfassungsrichter und früherer Ministerpräsident des Saarlandes, und Carsten Knop, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
29. Oktober 2025, 19 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung an demokratieforum@hambacher-schloss.de

Hambacher Gespräch II
„Zwischen KI-Waffen und Internetpropaganda. Hybride Kriege als Gefahr für die äußere Sicherheit“ — Zu Gast sind der Diplomat Christoph Heusgen, ehemaliger sicherheitspolitischer Berater von Bundeskanzlerin Merkel und zuletzt Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, und Haya Schulmann, Professorin für Cybersicherheit am Institut für Informatik der Goethe-Universität Frankfurt.
20. November 2025, 19 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung an hambachergespraech@hambacher-schloss.de

Mehr Infos unter hambacher-schloss.de
Bildnachweis:
Sanat Ensemble

Hambacher Schloss

Seit im Mai 1832 zum ersten Mal die schwarz-rot-goldene Fahne auf dem Kastanienberg bei Neustadt wehte, gilt das Hambacher Schloss als Wiege der deutschen Demokratie. Heute ist das Schloss eine nationale Gedenkstätte, die mit der Dauerausstellung „Hinauf, hinauf zum Schloss!“ interessante Einblicke in die deutsche (Demokratie-)Geschichte bietet. Bei Veranstaltungsreihen wie den Hambacher Gesprächen, dem Hambacher Disput oder dem Demokratie-Forum Hambacher Schloss sind regelmäßig renommierte Gäste vor Ort, die aktuelle politische Themen beleuchten und diskutieren. Abgerundet wird das Programm durch Sonderausstellungen, Kulturevents (Kabarett, Kindertheater und Konzerte ) und Gastveranstaltungen wie dem Hambacher Fest-Bankett. 2015 wurde die Gedenkstätte Hambacher Schloss als erst zweite Institution in Deutschland mit dem Europäischen Kulturerbe-Siegel ausgezeichnet.
AdresseStiftung Hambacher Schloss // 67434 Neustadt an der Weinstraße // Telefon: 06321 926290 // E-Mail: info@hambacher-schloss.de
Öffnungszeitentäglich von 10 bis 18 Uhr (April bis Oktober) und von 11 bis 17 Uhr (November bis März)
facebooktwitterg+Mail