Enjoy Jazz

The Sound of London

› Puh, während im britischen Unterhaus rein gar nichts vorangeht und der EU-Austritt eine Never-ending-Story zu werden droht, sprühen die Londoner Jazzclubs nur so vor Emphase und Euphorie: Dr. Brexit und Mr. Hype. Seit geraumer Zeit lässt sich diese Aufbruchsstimmung bereits beobachten, aber so lebendig wie gerade eben jetzt hat sich die englische Jazzszene selten präsentiert. Man spricht in Analogie zur British Invasion der Beat Bands anno dazumal inzwischen von der „UK Jazz Invasion“.

Letztes Jahr erschien der für Aufsehen sorgende Sampler „We Out Here“ auf Brownswood, dem Label des britischen DJs und Musikaktivisten Gilles Peterson, der ein paar der markantesten neuen Künstlerinnen und Künstler des Vereinigten Jazz-Königreichs versammelt. Einige davon werden in diesem Jahr bei Enjoy Jazz zu Gast sein — was einmal mehr beweist, dass Festivalleiter Rainer Kern nicht nur die Geschichte und die Heroen des Jazz im Blick hat, sondern mindestens ebenso sehr dessen Zukunft.

Hinternkickender Soul

Eine Band, der die Zukunft gehören dürfte und die zu „We Out Here“ den großartigen Rausschmeißer-Track „Abusey Junction“ beisteuerte, heißt Kokoroko. Um die Trompeterin Sheila Maurice-Grey und den Gitarristen Oscar Jerome gruppieren sich fünf bis sechs Musikerinnen und Musiker, die den Geist des Afrobeat à la Fela Kuti mit den Grooves des urbanen London verschmelzen. Es ist von enormer Suggestionskraft, wenn die drei Bläserinnen auf dem Fundament einer hinternkickenden Rhythmusgruppe ihre souligen Melodielinien entfalten.

Die Vorzeigehipster der Londoner Jazzszene sind ohne Zweifel Sons of Kemet. Theon Cross prägt dieses Trio mit seinem innovativen Tuba-Spiel — und zeigt, dass man die Klischees über die Tuba, von wegen Dixieland und Blasmusik, rasch vergessen sollte. Der Mann hat Funk und die Musik hat Fire, besser „Fyah“, um den Titel seines Debütalbums zu zitieren. Zu den jungen Wilden in UK gehört auch der aus South London stammende Keyboarder Kamaal Williams (Foto), der als Henry Wu Houseplatten produzierte, mit dem Drummer Yussef Dayes ein aufsehenerregendes Duo bildete und nun im Trio seinem Vorbild Herbie Hancock nacheifert — Hancock in seiner „Head Hunters“-Phase wohlgemerkt. Den Begriff Jazz mag Williams allerdings nicht. Er zieht „Wu Funk“ vor.

Stevie Wonder, Snoop Dog und Nick Cave

Doch nicht nur London hat seine brodelnde Jazzcommunity. Los Angeles freilich auch. Man denke nur an die Posse rund um Kamasi Washington. Zu der gehört der Posaunist Ryan Porter, der 2017 ein beeindruckendes, schon vor zehn Jahren im Heimstudio von Washingtons Vater aufgenommenes Triple-Album veröffentlichte: „The Optimist“. Mit Kamasi ist er zur Schule gegangen, mit ihm spielt er bis heute. Daneben hat er mit Snoop Dogg, Stevie Wonder, Rihanna, Kanye West oder Nick Cave gearbeitet, nahm mit dem Clayton-Hamilton Jazz Orchestra, mit Cameron Graves und Miles Mosley auf. Beschränkung auf ein Idiom ist seine Sache jedenfalls nicht.

Wer nun denkt, glückliches England, glückliches Amerika, dem sei aus der Vielzahl junger Acts noch das Maria Krüttli Trio ans Herz gelegt. Krüttli — der Name ist schon zarter Hinweis — ist Schweizerin, wurde 1991 geboren und hat einen ganz anderen Zugang zum Jazz als die multiethnischen Bands aus London. Sie kommt von der Klassik. Ihre Musik hat etwas Komplexes, Tiefgründiges, zugleich Schwebendes. Groove aber hat auch sie allemal. Bei Enjoy Jazz lassen sich zwischen Luzern und LA die wunderbarsten Entdeckungen machen. Und: Der Jazz ist so vital wie seit 50 Jahren nicht mehr. ‹

Enjoy Jazz Festival

Seit seiner Premiere 1999 hat sich Enjoy Jazz zu einem international renommierten Festival und zum größten Jazzfestival Deutschlands entwickelt. Neben Legenden wie Ornette Coleman oder Wayne Shorter präsentiert das „Internationale Festival für Jazz und anderes“ immer auch die Größen der jüngeren Jazzgeneration und spannt den Bogen zu angrenzenden Genres wie Weltmusik, Elektronik, Hip-Hop und Klassik. Komplettiert werden die rund 70 Konzerte durch Workshops, Matineen, Partys und Vorträge.
TerminMI 02. Oktober bis SA 16. November 2019
AdresseEnjoy Jazz GmbH // Bergheimer Straße 153 // 69115 Heidelberg // Tel: 06221 5835850 // E-Mail: info@enjoyjazz.de
SpielorteVerschiedene Orte in und rund um Heidelberg, Mannheim und ­Ludwigshafen
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