Enjoy Jazz

Ein Label, London und der Big Bang

› 1969 fanden nicht nur Woodstock und die Mondlandung statt, immerhin zwei das Jahrzehnt ziemlich imposant abschließende Ereignisse. 1969 wurde auch ein Jazz-Label gegründet, das ebenfalls etwas Auratisches umweht: Die Rede ist von der Edition of Contemporary Music (ECM), die der damals 26-jährige Bassist Manfred Eicher in kürzester Zeit zu einer der ersten Adressen für zeitgenössischen Jazz sowie klassische Musik formte. ECM feiert 50. Geburtstag. Enjoy Jazz wird (erst) 21. Aber in diesen 21 Jahren waren so viele ECM-Künstlerinnen und -Künstler in Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen, dass man fast von einer ECM-Außenstelle sprechen kann.

Ein Label als Inspirationsquelle

An der Verehrung Rainer Kerns, des künstlerischen Leiters von Enjoy Jazz, für Manfred Eichers Lebenswerk besteht kein Zweifel. Zum 40. vor zehn Jahren wurde ein Symposium ausgerichtet. Diesmal umrahmen zwei der großen ECM-Musikerinnen das Festival: Zum Auftakt wird Carla Bley — mit Steve Swallow, Andy Sheppard und Billy Drummond — im BASF-Feierabendhaus zu hören sein. Die 83-Jährige gehört zu den herausragenden Pianistinnen und Komponistinnen des Jazz. Eine der wichtigsten Komponistinnen im Bereich Filmmusik ist die Griechin Eleni Karaindrou, die durch ihre Arbeit mit Theo Angelopoulos bekannt wurde. Dass sie bei ECM eine Heimstatt gefunden hat, kommt nicht von ungefähr — die Nähe von Manfred Eichers ästhetischen Vorstellungen zum europäischen Film, zur Langsamkeit und Stille, ist offensichtlich. Karaindrou wird das Festival im National- theater Mannheim beschließen.

In den gut sieben Enjoy-Jazz-Wochen gibt es viele weitere ECM-Artists zu hören — vom Yonathan Avishai Trio über Tord Gustavsen bis zum „Artist in Residence“ Jan Bang. Ein weiterer Schwerpunkt beschäftigt sich mit der äußerst lebendigen polnischen Jazzszene, die zwar noch immer stark geprägt ist von den Großmeistern der letzten Jahrzehnte — Krzysztof Komeda und Tomasz Sta'nko –, aber etwa mit dem Marcin Wasilewski Trio und dem Maciej Obara Quartet expressive und eigenständige Erben aufbietet. Beide Bands, übrigens auch bei ECM, werden in diesem Jahr beim Festival dabei sein.

Einblick in die Londoner Jazz-Szene

Apropos junge Szene: London boomt! Es hatte sich schon vor ein paar Jahren angedeutet, aber spätestens seit 2018 hat sich das weltweit herumgesprochen. Da ist zum Beispiel Kokoroko, eine Band um die Trompeterin Sheila Maurice-Grey, die Afro- mit den Club-Beats des urbanen London verschmilzt. Der neue britische Jazz ist offen für vielfältige Einflüsse, zumal jene aus den ehemaligen Kolonien — alles ziemlich bunt hier. Daneben darf man sich freuen auf das Ezra Collective, die Multiinstrumentalistin Emma-Jean Thackray oder den Tubisten Theon Cross, bekannt von den Sons of Kemet.

Der Platz reicht nicht aus, alle Höhepunkte vorzustellen. Ein paar Namen aber müssen noch genannt werden: Der legendäre Klarinettist Rolf Kühn, der in diesem Jahr 90 Jahre wird, ist ebenso zu Gast wie sein Bruder Joachim Kühn. Zu erleben mit Archie Shepp — die beiden kennen sich bereits seit den 60er-Jahren, haben zusammen zwei Platten veröffentlicht. Ebenfalls nicht verpassen: den amerikanischen Posaunisten Ryan Porter aus dem Umfeld von Kamasi Washington und die große Sängerin Dee Dee Bridgewater. Ebenso gibt sich ihre junge Kollegin Indra Rios- Moore die Ehre, die auf ihrem jüngsten Album den Soul als politische Waffe in turbulenten Zeiten wiederentdeckt hat. Man sieht: Das Festival ehrt die Tradition und bejubelt die Zukunft. In der Schönheit der Musik steckt immer auch die Sehnsucht nach Freiheit, Offenheit und Verständigung. Dafür stehen Enjoy Jazz und die Künstlerinnen und Künstler. ‹


Crashkurse im Staunen mit Jan Bang

Enjoy Jazz präsentiert zum dritten Mal einen Artist in Residence. Nach Michael Wollny und Archie Shepp begrüßt das größte Jazzfestival Deutschlands mit Jan Bang nun einen Pionier der „New Conception of Jazz“. Er galt lange Zeit als Mann im Hintergrund, als Schattenmann dieser eng vernetzten Szene. Ab 1996 machte die sich auf, die improvisierte Musik mit der fortschrittlichsten Technologie zu fusionieren. Aus den Bereichen Techno und Intelligent Dance Music (IDM) kommend, setzte Bang sich zunehmend mit dem Jazz auseinander. Er begann Improvisation, Tradition, Groove und Electronics zusammenzudenken. Seine damals radikal neue Idee: Einen Sampler nicht nur als Speicher zu nutzen, sondern damit live und in Echtzeit improvisierend ins Bühnengeschehen einzugreifen. Bang wird im Zusammenspiel mit anderen Künstlerinnen und Künstlern sein meisterliches Können unter Beweis stellen: vier Konzerte — vier Crashkurse im Staunen.

Trondheim Voices PUNKT Remix
Samstag, 05.10.2019, 21 Uhr
Karlstorbahnhof, Heidelberg

Jan Bang & Ensemble Modern
Sonntag, 06.10.2019, 19 Uhr
Karlstorbahnhof, Heidelberg

Jan Bang & Eivind Aarset Duo
Mittwoch, 09.10.2019, 20 Uhr
Heiliggeistkirche, Heidelberg

Dark Star Safari
Montag, 28.10.2019, 20 Uhr
Alte Feuerwache, Mannheim

Enjoy Jazz Festival

Seit seiner Premiere 1999 hat sich Enjoy Jazz zu einem international renommierten Festival und zum größten Jazzfestival Deutschlands entwickelt. Neben Legenden wie Ornette Coleman oder Wayne Shorter präsentiert das „Internationale Festival für Jazz und anderes“ immer auch die Größen der jüngeren Jazzgeneration und spannt den Bogen zu angrenzenden Genres wie Weltmusik, Elektronik, Hip-Hop und Klassik. Komplettiert werden die rund 70 Konzerte durch Workshops, Matineen, Partys und Vorträge.
TerminMI 02. Oktober bis SA 16. November 2019
AdresseEnjoy Jazz GmbH // Bergheimer Straße 153 // 69115 Heidelberg // Tel: 06221 5835850 // E-Mail: info@enjoyjazz.de
SpielorteVerschiedene Orte in und rund um Heidelberg, Mannheim und ­Ludwigshafen
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