Hambacher Schloss

„Jeder ist jemand“

Warum lohnt es sich, unsere Demokratie — die ja offenbar nicht alle so toll finden — zu verteidigen?
Kein anderes Rechtssystem, kein Staatssystem garantiert auf dieser Welt bisher dem Menschen, dass seine Würde unantastbar ist. George Tabori, der große Theaterschriftsteller, hat das mal übersetzt mit dem Satz: Jeder ist jemand. Und es gibt immer wieder Menschen, auch in unserem Land, die enthemmt der Meinung sind: Nicht jeder ist jemand. Es gibt auch Menschen, die niemand sind. Das Schutzsystem, die Idee der Demokratie ist, dass dieses Versprechen vom Wert jedes Einzelnen gehalten wird. Und dieses Versprechen ist grundlegend für die Existenz des Menschen. Ein Maximum an Selbstbestimmung, ein Maximum an Autonomie, ein Maximum, sich in eine Debatte einbringen zu können und so gehört zu werden wie jeder andere auch: Das ist Freiheit.

Heißt das, dass wir in unserer Gesellschaft zu satt sind und dass Sie sich freuen auf Menschen, die aufs Hambacher Schloss kommen, um dieses Demokratie-Forum aktiv mitzugestalten?
Ich freue mich über jeden Menschen, der bereit ist, zu diskutieren, in einen Dialog einzutreten, das bereichert mich ja auch. Aber ich habe auch Haltungen, die übrigens dynamische Haltungen sind, und solche Gespräche führen hoffentlich nicht nur für mich, der ich sehr neugierig und offen in solche Gespräche hineingehe, zu Erkenntnis, zu Präzisierung, aber auch zum Neuüberlegen. Es kann passieren, dass mich ein Argument, das ich bisher nicht kannte, in meinem Denken wieder nach vorne bringt … Mir geht es bei allen Moderationen darum, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer, Zuhörerinnen und Zuhörer auch mit Fragen herausgehen, über die sie sich dann privat weiter unterhalten und nachdenken. Wenn man das erreicht, ist man im wahrsten Sinne des Wortes aufklärerisch. Und wenn man das erreicht, dann ist das schon mal sehr viel.

Als Moderator gelten Sie ja auch als „Polarisator“, wie wollen Sie’s da anlegen?
Ich versuche, mit Präzision und Klarheit die Themen, die außerordentlich wichtig sind, die existenziell sind, in einer Art und Weise zu diskutieren, in der das Weglaufen, das Vernebeln, das Banalisieren auch eines Gesprächs für die Teilnehmer schwer bis unmöglich wird. Es wird immer wieder Momente geben, wo es nötig sein wird, zu sagen: Hört mal, Leute, so geht das nicht. Die Menschen, die ihre Zeit aufwenden, um euch und mir zuzuhören, haben einen Anspruch auf Präzision, auf Qualität und auf ein Maximum an Ehrlichkeit. Und wenn Sie das Polarisieren nennen, dann nehme ich dieses Kompliment gerne an.

Das Hambacher Fest, das Schloss als Wiege der Demokratie, war diese historische Verbindung für Sie auch entscheidend, diese Aufgabe zu übernehmen?
Ich lebe in Frankfurt, wo die Paulskirche ist, und ich glaube schon, dass Orte, die authentisch sind für ein Thema, eine ganz besondere Aura und Authentizität anbieten können. Das setzt aber voraus, dass die handelnden Menschen, die Art und Weise, wie diskutiert wird, auch authentisch sind. Und ich hoffe, dass wir diesen Einklang schaffen werden. Und natürlich ist es eine besondere Herausforderung, auch Freude, an so einem Ort so etwas zu veranstalten und Moderator sein zu dürfen.

Oskar Schindler rettete über seine berühmte Liste rund 1.200 jüdische Zwangsarbeiter vor dem Tod im KZ. Auch Ihre Eltern und die Großmutter wurden von Schindler gerettet.
Ich erinnere mich, dass dieser sehr bärige Mann mich außerordentlich beeindruckt hat, weil er eigentlich ein sehr einfacher Mensch war, und er hat mir auch geholfen. Ich bin sehr dankbar und sehr glücklich, dass dieser Oskar Schindler mich immer wieder gezwungen hat, nicht von den Deutschen zu sprechen. Er war auch ein Deutscher, und er alleine machte es mir unmöglich, von den Deutschen zu sprechen. Und er schenkte mir eine Erkenntnis, die meine Mutter mal so formuliert hat: Denk immer dran, Michel, der Hassende ist vergifteter als der Gehasste, weil er 24 Stunden mit seinem Hass leben muss. ‹

Für die SWR4-Sendung „Im Gespräch“ hat Michel Friedman SWR4-Moderator Thomas Meyer sehr ausführlich Rede und Antwort gestanden. Das Interview ist ein Ausschnitt aus der insgesamt dreistündigen Sendung, die SWR4 Rheinland-Pfalz am 1. November 2018 zwischen 9 und 12 Uhr ausstrahlt.

Über die Reihe
In der Tradition des „Hambacher Fests“, dem Geist der Meinungsfreiheit und der Bürgerrechte, diskutieren lebenserfahrene und streitlustige Politiker, Publizisten sowie Vertreter aus Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft auf dem Demokratie-Forum Hambacher Schloss. Politische, gesellschaftliche und kulturelle Themen von grundlegender Bedeutung werden aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln aufgegriffen. Die Veranstaltung war viele Jahre eine Institution, bis sie mit dem frühen unerwarteten Tod des „Kopfes“, Vordenkers, Moderators Thomas Leif 2017 ein jähes Ende fand. Nun wird sie mit Michel Friedman neu aufgelegt. Der Auftakt ist am 21. November 2018 um 19 Uhr. Für 2019 sind vier Veranstaltungen geplant.

Mehr Infos und die aktuellen Termine finden Sie unter www.hambacher-schloss.de
Bildnachweis:
Inga Liebe, SWR

Hambacher Schloss

Seit im Mai 1832 zum ersten Mal die schwarz-rot-goldene Fahne auf dem Kastanienberg bei Neustadt wehte, gilt das Hambacher Schloss als Wiege der deutschen Demokratie. Heute ist das Schloss eine nationale Gedenkstätte, die mit der Dauerausstellung „Hinauf, hinauf zum Schloss!“ interessante Einblicke in die deutsche (Demokratie-)Geschichte bietet. Bei Veranstaltungsreihen wie den Hambacher Gesprächen, dem Hambacher Disput oder dem Demokratie-Forum Hambacher Schloss sind regelmäßig renommierte Gäste vor Ort, die aktuelle politische Themen beleuchten und diskutieren. Abgerundet wird das Programm durch Sonderausstellungen, Kulturevents (Kabarett, Kindertheater und Konzerte ) und Gastveranstaltungen wie dem Hambacher Fest-Bankett. 2015 wurde die Gedenkstätte Hambacher Schloss als erst zweite Institution in Deutschland mit dem Europäischen Kulturerbe-Siegel ausgezeichnet.
AdresseStiftung Hambacher Schloss // 67434 Neustadt an der Weinstraße // Telefon: 06321 926290 // E-Mail: info@hambacher-schloss.de
Öffnungszeitentäglich von 10 bis 18 Uhr (April bis Oktober) und von 11 bis 17 Uhr (November bis März)
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