zeitraumexit

Ein Plädoyer für die künstlerische Freiheit und Vielfalt

› Das Feuer lodert über vier Etagen. Anfang Februar zerstört ein Brand die 150 Jahre alte Kauffmannmühle im Mannheimer Hafenviertel Jungbusch. Auch die in der Nachbarschaft befindlichen Büros, Ateliers und Veranstaltungsräume von „zeitraumexit“ sind gefährdet. Eineinhalb Monate lang dürfen die Mitarbeiter*innen die Räume nicht betreten, alle Veranstaltungen müssen in andere Räumlichkeiten verlegt, verschoben oder abgesagt werden. Ein herber Schlag. „Wenn wir kein Programm machen, laufen wir ins Defizit“, erläutert Geschäftsführer Frank Degler die Folgen.

Neustart Kultur

Dennoch ruht die Kulturarbeit des kreativen Teams auch in dieser kritischen Phase nicht. Denn in der Pandemie hat das Team schon einige Erfahrungen mit erzwungenen Produktionspausen gemacht. Ein Beispiel dafür ist die erfolgreiche Recherche-Förderung von Künstler*innen: Drei Jahre lang hat zeitraumexit damit vor allem Kulturschaffenden aus der Metropolregion finanziell unter die Arme gegriffen. Die Residenzförderung #TakeHeart ist ein Programm des Fonds Darstellende Künste und wird ermöglicht durch Mittel aus NEUSTART KULTUR, dem Zukunftspaket für den Kultur- und Medienbereich der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Als Mitglied des Netzwerks Freier Theater, einem bundesweitem Zusammenschluss elf freier Theater und Produktionshäuser, kann zeitraumexit rund 40 Projekte, die für zwei Monate mit jeweils 5.000 Euro ausgestattet wurden, unterstützen — ein Novum. „Früher kam eine Bundesförderung eher künstlerischen Leuchttürmen zugute und wurde nicht wie jetzt in lokale Strukturen gelenkt“, sagt der künstlerische Leiter von zeitraumexit, Florian Ackermann.

In den Flow kommen

Das Schöne: Bei ihrer Arbeit konnten die Teilnehmenden in einen Flow kommen, denn sie hatten alle künstlerischen Freiheiten. „Die Recherchen waren nicht explizit an ein definiertes Ergebnis gekoppelt“, berichtet Ackermann. Ebenfalls eine Seltenheit, denn bei vielen Förderangeboten müssen die Künstler*innen im Voraus ihre Projekte, die Ziele und oft den Premierentermin darlegen. Für die grundständige Forschung gab es bei #TakeHeart zudem keine Präsenzpflicht in der Hafenstraße. „Dennoch waren alle nach und nach hier, wenn auch nur drei Tage oder eine Woche“, erinnert sich Frank Degler. Aus den Recherchen werden sich einige konkrete Produktionen ergeben, die bei zeitraumexit zu sehen sein werden. „Das sind Samen, die später einmal aufgehen“, ist sich Ackermann sicher.

„Solche Projekte ermöglichen es uns zudem, uns noch stärker in der Metropolregion zu vernetzen.“ Dank #TakeHeart haben Ackermann und sein Team neue Kontakte knüpfen und bestehende Zusammenarbeiten intensivieren können: zum Beispiel mit Christina Bauernfeind, die bereits kuratorisch am Haus tätig war. Die Performancekünstlerin nutzte gemeinsam mit dem Theaterkollektiv Rampig die Förderung, um sich auf der Heidelberger Thingstätte und dem Heiligenberg umzusehen. Beide Orte haben eine dunkle Vergangenheit: Im Nationalsozialismus und zu Zeiten der Hexenverfolgung galten sie als mythische Stätten.
  • zeitraumexit Ore Arts
    Gefördert – während das Künstlerinnen-Kollektiv Ore Arts nach dem eigenen Schwarzen Erbe gräbt, …
  • zeitraumexit Der Dreck unter den Nägeln Eleonora Herder
    … hat Eleonora Herder ihr Rechercheprojekt „Der Dreck unter den Nägeln“ umgesetzt. (Fotos: Janaina Gerdemann; Eleonora Herder)
Ore Arts, ein Kollektiv Schwarzer Künstlerinnen aus der Kulturregion Rhein-Neckar, gräbt indes nach dem eigenen Schwarzen Erbe. Die audiovisuelle Tanzperformance „Kampf der Sinne“ präsentiert die Gruppe Anfang Juni bei zeitraumexit. Bekannt ist Ore Arts auch durch Auftritte im Mannheimer Nationaltheater und im Heidelberger Karlstorbahnhof. Dort präsentierten die 15 Künstlerinnen die Film-Musik-Performance „Skin Politics“ und stellten die Frage, wie Schwarze Menschen in der Weißen Kunstszene wahrgenommen werden. Einen ungewöhnlichen Ansatz hat die Theatermacherin und Performancekünstlerin Liliane Koch in ihrem Projekt „Zwischenwelten“ gewählt. Mit Bestatter*innen, Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen sprach sie über das Sterben.

Die Blaue Karawane

Neben der Förderung innovativer Künstler*innen steht bei zeitraumexit auch das Thema „Inklusion“ von Menschen in unterschiedlichen Lebensrealitäten im Fokus. Dabei blickt das Mannheimer Kulturhaus dank seiner Gründer*innen Gabriele Oßwald und Wolfgang Sautermeister auf eine längere Tradition zurück. Im Jahr 2020 haben die beiden schließlich gemeinsam mit der Lebenshilfe Bad Dürkheim das Ensemble Divers aufgebaut. Die erste Performance „Die Entscheidung & Entscheidungsende“ feierte im darauffolgenden Jahr Premiere. Zur Eröffnung der neuen Spielzeit ist Anfang September ein inklusiver Programmschwerpunkt geplant. Mit dabei ist die Blaue Karawane aus Bremen, die ebenfalls in diesem Bereich aktiv ist. Gezeigt werden die Neuproduktion von „Ewigkeit, End, Gott“ des Ensembles Divers sowie Performances, Filme und Hörstücke. Zudem wird es ein gemeinsames Abendessen geben. ‹

Infos und Termine zu den einzelnen Projekten und Produktionen gibt es unter www.zeitraumexit.de

Bildnachweis:
Insta DNA Collective (herba IDYLL)

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zeitraumexit ist ein Ort der Öffnung und gibt der Neugier und dem interessierten Hinterfragen Raum. Im Fokus stehen das aktuelle Geschehen, aktuelle Tendenzen und Strömungen in der Gesellschaft und wie Künstler mit dieser komplexen Welt umgehen. Dabei geht es sicher nicht um Antworten oder Wahrheiten, sondern vielmehr die Suche und das gemeinsame Befragen. Dabei lässt sich zeitraumexit nicht auf eine bestimmte Kunstform festlegen.Vielmehr stehen die Möglichkeiten im Mittelpunkt, die aktuelle Künste jenseits des Mainstreams anbieten, um Prozesse und Phänomene unserer Gesellschaft zu erforschen. Genau diese Freiheit ermöglicht es, ein Programm zu zeigen, das eine Auseinandersetzung von Kunst und Gesellschaft, deren Wechselwirkungen, Abhängigkeiten und Möglichkeiten wagt.
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