Biennale für aktuelle Fotografie

Aus verschiedenen Blickwinkeln

› Traditionelle Bräuche und Netzaktivismus, ein Leben in enger Verbindung mit der Natur und die vermutlich kleinste Fluggesellschaft der Welt: In Sarayaku geht vieles zusammen, was auf den ersten Blick nicht zueinander passt. Dort, im südlichen Amazonasgebiet Ecuadors, sind die Kichwa zu Hause. Der selbst in Ecuador geborene Fotograf Misha Vallejo Prut hat das indigene Volk seit 2015 immer wieder besucht und seinen Alltag dokumentiert. Ganz im Sinne ihrer Vorfahren bemühen sich die Kichwa, durch ihr Handeln weder anderen Gemeindemitgliedern noch der Umwelt zu schaden. Moderne Einflüsse wie eine Internetverbindung mitten im Regenwald schließt das nicht aus. Für die Bewohner*innen Sarayakus sind zeitgemäße Kommunikationsmittel sogar überlebensnotwendig: Über Social Media wehren sie sich gegen die Ausbeutung ihres Lebensraums durch Erdölkonzerne. Dieser Widerstand führte die Kichwa bis vor den Interamerikanischen Gerichtshof in Costa Rica: 2012 bekamen sie recht und eine Entschädigung von umgerechnet 1,2 Millionen Euro zugesprochen. Von dem Geld kaufte die Gemeinde unter anderem zwei Kleinflugzeuge, die in medizinischen Notfällen Leben retten sollen.

Bei der Biennale für aktuelle Fotografie 2022 wird Misha Vallejo Pruts Arbeit „Secret Sarayaku“ an gleich zwei Orten zu sehen sein: als Installation im Heidelberger Hauptbahnhof und in der Kunsthalle Mannheim. Letztere beherbergt die Ausstellung „Contested Landscapes“ und beschäftigt sich mit der Erfahrung, dass Natur oftmals auf ihre Bedeutung für wirtschaftliches Wachstum reduziert wird. Die Folgen, die etwa der Abbau von Rohstoffen für die in dem betroffenen Gebiet lebenden Menschen haben kann, werden vernachlässigt.
  • Biennale für aktuelle Fotografie 2022 Matthieu Gafsou H+
    Mensch-Maschine – Matthieu Gafsou beschäftigt sich in der Reihe „H+“, die im Wilhelm-Hack-Museum zu sehen sein wird, mit der Verbesserung des menschlichen Körpers durch Technologien.
Sechs Ausstellungen auf insgesamt knapp 4.500 Quadratmetern hat Iris Sikking für die Biennale 2022 konzipiert. Dafür hat die niederländische Kuratorin Arbeiten von rund 40 Künstler*innen aus fast der ganzen Welt ausgewählt. Sikking lädt die Besucher*innen dazu ein, auf die vielschichtigen und nicht immer intakten Beziehungen zwischen Mensch, Natur und Technologien zu blicken. Dabei geht es zum Beispiel um die Fragen, wie wir uns von einer auf den Menschen fokussierten Betrachtung unserer Umwelt lösen oder wie wir in öffentlichen Debatten einer größeren Vielfalt an Stimmen Gehör verschaffen können.

„From Where I Stand“ steht als Überschrift über der gesamten Biennale. Auf Deutsch bedeutet das „Aus meiner Sicht“. Der Titel könne, erläutert Iris Sikking, als bescheidenes Statement verstanden werden: „Das ist es, was ich sehen kann, und wie ich die Welt von meinem Standpunkt aus verstehe.“ Um den eigenen Blick zu weiten und zu schärfen, müsse man immer das Wissen und die Erfahrungen anderer miteinbeziehen. Deshalb schätzt Sikking vor allem Fotograf*innen und Künstler*innen, die sich ihrer Position bewusst sind und daneben auch die Perspektiven von Menschen berücksichtigen, mit denen sie intensiv zusammengearbeitet haben.

Zwischen Kunst,Journalismus und Aktivismus

Die Biennale 2022 konzentriert sich auf fotografische Arbeiten, die sich zwischen Kunst, Journalismus und Aktivismus bewegen. In der Ausstellung „Narratives of Resistance“ im Museum Weltkulturen D5 der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim geht es um wenig beachtete Konflikte zwischen Regierungen und lokalen Bevölkerungsgruppen. Gezeigt wird dort zum Beispiel die Arbeit „The Land of Elephants“ von Silvy Crespo. Sie beleuchtet, wie die Sorgen der Bewohner*innen der portugiesischen Region Barroso um ihre Heimat und die Interessen der Regierung, die die dortigen Lithium-Vorkommen abbauen lassen möchte, aufeinanderprallen. Im Heidelberger Kunstverein thematisieren die beteiligten Künstler*innen unter dem Titel „Changing Ecosystems“, wie sich die Fauna und Flora ausgewählter Gebiete unter menschlichem Einfluss verändern.

Zu sehen ist etwa die Serie „Tree and Soil“ von Antoinette de Jong und Robert Knoth. Das Künstlerduo war nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima im März 2011 mehrmals im Sperrgebiet unterwegs. Die beiden fotografierten und filmten aufgegebene Bauernhöfe, Gärten, Felder und Wälder. Ihre eigenen Aufnahmen verknüpfen de Jong und Knoth mit historischem Material aus der Sammlung von Philipp Franz von Siebold. Der Würzburger Arzt und Naturforscher lebte im 19. Jahrhundert und vertrat ein Zeitalter, in dem Menschen anfingen, die Welt zu bereisen, um den Rätseln der Natur auf den Grund zu gehen.

Tanz als globale Sprache

Dem Ausdruck der eigenen Identität und Finden von Verbündeten, vorzugsweise übers Internet, widmet sich die Ausstellung „Collective Minds“ im Port25 — Raum für Gegenwartskunst in Mannheim. Dort steht die Acht-Kanal-Videoinstallation „Universal Tongue“ von Anouk Kruithof im Zentrum. Mit einem über 50-köpfigen Team hat die Künstlerin das Netz durchforstet und untersucht, wie Tanz als globale Sprache funktioniert.

Die Ausstellung „Shaping Data“ im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen setzt sich mit dem Einfluss digitaler Technologien auf unseren Alltag und insbesondere auf unseren Körper auseinander: Mal sind die Auswirkungen offensichtlich wie etwa in vielen Bildern von Matthieu Gafsous Arbeit „H+“, in der es um Transhumanismus, also die Verbesserung des menschlichen Körpers durch Technologien, geht. Mal sind die Folgen subtiler, wie das Projekt „Second Nature“ von Mónica Alcázar-Duarte veranschaulicht: Die mexikanisch-britische Künstlerin hat dafür analysiert, wie Suchmaschinen und Soziale Medien diskriminierende Zuschreibungen wiederholen und verstärken.
  • Biennale für aktuelle Fotografie 2022 Michal Iwanowski Go home Polish
    Seine Serie „Go home Polish“ hat der Dokumentarfotograf Michał Iwanowski nach einem Graffiti in seiner Wahlheimat, dem walisischen Cardiff, benannt. Das im Zuge des Brexit-Referendums zunehmend nationalistische Klima im Königreich war Auslöser für Iwanowski, um von Wales aus in sein Geburtsland Polen zu wandern...
  • Biennale für aktuelle Fotografie 2022 Michal Iwanowski Go home Polish
    In der dabei entstandenen Reihe dokumentiert der Fotograf seine Auseinandersetzung mit Heimat und Identität. Auf vielen Aufnahmen ist der Künstler selbst zu sehen.
  • Biennale für aktuelle Fotografie 2022 Michal Iwanowski Go home Polish
    Ein Grenzzaun in Calais. Michał Iwanowski aus der Serie "Go home Polish".
  • Biennale für aktuelle Fotografie 2022 Michal Iwanowski Go home Polish
    Die Reihe wird im Rahmen der Ausstellung im zu sehen sein. Michał Iwanowski aus der Serie "Go home Polish"
Die buchstäbliche Verkörperung von persönlichen Haltungen, etwa in Bezug auf Freiheit, Feminismus und Religion, ist das Thema der Ausstellung „Bodies in (e)Motion“ im Kunstverein Ludwigshafen. Die vertretenen Künstler*innen fungieren als Vermittler*innen, die insbesondere Perspektiven präsentieren, die in der westlichen Welt wenig bekannt sind. So zeigt etwa die britisch-südafrikanische Fotografin Giya Makondo-Wills in „They Came From The Water While The World Watched“, wie das im Zuge der Kolonialisierung nach Südafrika importierte Christentum und der von Vorfahren überlieferte Glaube gleichberechtigt nebeneinander gelebt werden können. ‹

Biennale für aktuelle Fotografie 2022
19. März bis 22. Mai 2022 (Eröffnung: 18. März 2022)
Orte — Heidelberger Kunstverein, Kunsthalle Mannheim, Kunstverein Ludwigshafen, Port25 — Raum für Gegenwartskunst (Mannheim), Wilhelm-Hack-Museum (Ludwigshafen), ZEPHYR — Raum für Fotografie in den Reiss-Engelhorn-Museen (Mannheim): Da der Umbau von ZEPHYR andauert, ist die Ausstellung im Museum Weltkulturen D5 zu sehen.
Internet — www.biennalefotografie.de
Social Media — #biennalefueraktuellefotografie #fromwhereistand

  • Biennale für aktuelle Fotografie 2022 Misha Vallejo Prut Uchuputu Secret Sarayaku

Tipp! Fotografie am Bahnhof

Vom 18. Februar bis zum 22. Juni 2022 werden im Rahmen der Biennale im Hauptbahnhof Mannheim und im Hauptbahnhof Heidelberg Werke von drei Künstler*innen präsentiert: In Mannheim sind es Ausschnitte der Serie „Tools for Conviviality“ von Anna Ehrenstein, die sich mit den immer stärkeren Überlappungen von physischen und virtuellen Räumen beschäftigt. In Heidelberg verwandeln ausgewählte Bilder der Arbeit „Secret Sarayaku“ und des Projekts „Footprints in the Valley“, in dem sich Eline Benjaminsen mit dem weltweiten Emissionshandel auseinandersetzt, den Hauptbahnhof in eine frei zugängliche Galerie.
Bildnachweis:
Aufmacher: Misha Vallejo Prut aus der Serie „Secret Sarayaku“ (2019)

Biennale für aktuelle Fotografie

Die Biennale für aktuelle Fotografie findet alle zwei Jahre in den wichtigsten Ausstellungshäusern der drei Städte Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg statt. Gezeigt werden Themenausstellungen von international renommierten GastkuratorInnen. Knapp 4000 Quadratmeter Ausstellungsfläche bietet Platz für eine vielfältige Betrachtung aktueller fotografischer Positionen und schafft den Rahmen, über ein Medium nachzudenken, das unsere Gesellschaft prägt wie kaum ein anderes.
TerminSA 19. März bis SO 22. Mai 2022
AdresseBiennale für aktuelle Fotografie e.V. // E 4,6 // 68159 Mannheim // E-Mail: info@biennalefotografie.de
SpielorteLudwigshafen: Wilhelm-Hack-Museum, Kunstverein // Mannheim: Forum Internationale Photographie (FIP) & ZEPHYR, Port25 – Raum für Gegenwartskunst, Kunsthalle // Heidelberg: Kunstverein
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