Museum Sammlung Prinzhorn

AVANTgardist in der Anstalt

› Unter den Künstlern, deren Werke in der Sammlung Prinzhorn vertreten sind, nimmt Paul Goesch eine Sonderstellung ein. Während die meisten ihre Werke abseits vom etablierten Kunstbetrieb und weitgehend unentdeckt in psychiatrischen Anstalten schufen, war Goesch nach dem Ersten Weltkrieg ein umtriebiger Aktivist der Berliner Avantgarde.

Goesch arbeitete nach seinem Architekturstudium ab 1914 als „Regierungsbaumeister“ im westpreußischen Kulm (heute polnisch: Chełmno). 1917 kam er nach einem Zusammenbruch in eine Pflegeanstalt, wo er zu zeichnen und zu malen begann. Im Oktober 1919 wurde Goesch aus der Anstalt entlassen und zog nach Berlin. Dort wurde er Teil der künstlerischen Avantgarde, trat der „Novembergruppe“ sowie dem „Arbeitsrat für Kunst“ bei und stellte mit diesen Gruppierungen aus. Wahrgenommen wurde Goesch auch außerhalb von Berlin: 1920 kaufte Gustav Hartlaub für die Kunsthalle Mannheim drei Blätter an.
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    Zwiscehn Anstalt und AVANTgarde: Das Museum Sammlung Prinzhorn zeigt Werke von Paul Goesch, wie "Anbetung für Seurat" (um 1910) …
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    oder "Vase" (1920). Der Künstler verbrachte …
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    fast 20 Jahre in psychiatrischen Anstalten, wo er auf allem malte, was ihm zur Verfügung stand, und er eindrucksvolle Bilder wie "Fünf Figuren" oder …
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    "Portal mit Fenster darüber" schuf.
Ab 1921 war Goesch wieder Patient und lebte fast 20 Jahre lang in den Anstalten Göttingen und Teupitz. In Göttingen war sein Schwager ärztlicher Leiter der benachbarten Erziehungsanstalt. Er genoss hier Privilegien und konnte auf allem malen, was ihm zur Verfügung stand — ob Papier, Karton, Packpapier oder Briefumschläge. Auch hielt er zur Kunstwelt Kontakt: Er nahm weiterhin Illustrationsaufträge an und war bis 1929 immer wieder mit Werken an der Großen Berliner Kunstausstellung in der Sektion der „Novembergruppe“ beteiligt.

„Zweimal entartet“

1934 kam Goesch als „verschroben läppscher Schizophrener“ in die Pflegeanstalt Teupitz bei Berlin. Dort war er nur noch Patient dritter Klasse. Malen durfte er kaum noch. Auch seine Werke wurden nicht mehr geschätzt, sondern verfemt: In der hetzerischen Publikation „Säuberung des deutschen Kunsttempels“ von 1937 ist ein Werk von ihm abgebildet, und die Blätter aus der Mannheimer Kunsthalle wurden als „entartet“ beschlagnahmt, waren möglicherweise sogar in der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ zu sehen.

Doch dies waren nicht die einzigen Arbeiten von Goesch, die dort verunglimpft wurden. Auch aus der Sammlung Prinzhorn, die bereits im Besitz von Goesch-Werken war, hatte die Ausstellungsleitung rund 100 Werke von Psychiatrie-Erfahrenen geliehen — in der absurden Absicht, eine visuelle Vergleichbarkeit der „Entartung“ zu präsentieren. Paul Goesch ist so wohl der einzige Künstler, der „zweimal entartet“ wurde.
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    Ein anderer Blick auf die Welt: Portraitfoto von Paul Goesch, um 1920.
Die Nationalsozialisten gingen auch gegen Goesch selbst vor. Am 22. August 1940 wurde er in das Alte Zuchthaus Brandenburg gebracht und dort von nationalsozialistischen Ärzten im Rahmen des „Euthanasie“-Programms ermordet. Die Kraft seiner Bilder ist jedoch ungebrochen. Die Prinzhorn Sammlung zeigt nun 120 von ihnen, viele davon sind erstmals öffentlich zu sehen. Möglich geworden ist das Projekt durch eine Schenkung: Die Famlie überließ dem Museum über 350 Arbeiten. Parallel stellt die Berlinische Galerie Paul Goesch neben Bruno Taut und Paul Scheerbart als Visionär der Moderne vor.

Paul Goesch — Zwischen Avantgarde und Anstalt
bis 18. September 2016
Museum Sammlung Prinzhorn, Heidelberg

Sammlung Prinzhorn

Die Sammlung Prinzhorn ist ein Museum für Kunst von Menschen mit psychischen Ausnahme-Erfahrungen. Ihr bekannter historischer Bestand umfasst rund 6.000 Zeichnungen, Aquarelle, Gemälde, Skulpturen, Textilien und Texte, die Insassen psychiatrischer Anstalten zwischen 1840 und 1945 geschaffen haben. Dieser weltweit einzigartige Fundus wurde zum größten Teil von dem Kunsthistoriker und Psychiater Hans Prinzhorn (1886–1933) während seiner Zeit als Assistenzarzt an der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg zusammengetragen. Seit 1980 wächst die Sammlung weiter (der neuere Bestand umfasst ca. 16.000 Werke). Das Museum zeigt jährlich drei bis vier thematische Ausstellungen und möchte damit zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankung beitragen. Als Teil des Universitätsklinikums Heidelberg ist das Haus auch eine wissenschaftliche Einrichtung, die das Schicksal der Künstler und Künstlerinnen, ihre Werke und übergeordnete Fragestellungen erforscht. Zu den bekanntesten KünstlerInnen der Sammlung zählen Harald Bender, Else Blankenhorn, Franz Karl Bühler, Paul Goesch, Emma Hauck, August Natterer und Adolf Wölfli.
AdresseSammlung Prinzhorn
 // Klinik für Allgemeine Psychiatrie // Universitätsklinik Heidelberg
 // Voßstraße 2
 // 69115 Heidelberg
 // Besucherinformation: 06221 / 56-47 39 // E-Mail: prinzhorn@uni-heidelberg.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 11–17 Uhr, Mittwoch 11–20 Uhr, an geöffneten Feiertagen bis 17 Uhr


In den Umbauzeiten zwischen den Ausstellungen ist das Museum geschlossen!
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