Festspiele Ludwigshafen

Ohne Tempolimit

› „Das Tempo des Lebens ist so eine Frechheit. Wer hat uns das auferlegt?“, sinnierte Marco Goecke vor Kurzem in einem TV-Interview. Genau an diesem Punkt setzt für ihn das Theater ein, weil er dort die Geschwindigkeit selbst bestimmen kann. Das Theater ist für ihn daher viel aufregender als das Leben. Wer Goeckes frenetische Hochgeschwindigkeitsbewegungen auf der Bühne sieht, kann dessen Verdruss über die Langsamkeit im realen Leben nachvollziehen. In seinen Stücken spielt sich alles im Zeitraffer ab. Dafür hat der Ausnahmechoreograf ein ganz eigenes, vielfach kopiertes System von Zeichen und Bewegungsmustern geschaffen und zur Perfektion gebracht.

Ein echter Coup

Goecke gilt als einer der wichtigsten Choreografen der Gegenwart. Der 48-Jährige hat zahlreiche große Tanzabende einstudiert und ist mit renommierten Preisen ausgezeichnet worden. Ein echter Coup also, dass Intendant und Festspielleiter Tilman Gersch ihn als Kurator engagieren konnte. Schon zum Auftakt plant Goecke einen großen Abend für alle Tanzliebhaber. Die Compagnie „Les Ballets de Monte-Carlo“ präsentiert mit der Neufassung von „Coppélia“ einen Klassiker des Handlungsballetts. Der Inhalt: Ein eigenbrötlerischer Erfinder konstruiert eine mechanische Puppe und platziert sie auf dem Fensterbrett seiner Wohnung. Nichts wünscht er sich mehr, als seinem Geschöpf echtes Leben einzuhauchen. Jean-Christophe Maillot, Chef des monegassischen Ensembles, versetzt in seiner Fassung „Coppél-I.A.“ den romantischen Stoff in die Gegenwart und thematisiert die Entwicklung der künstlichen Intelligenz. Die moderne Coppélia ist ein Android, entsprungen aus einer kühlen Laborwelt.

Passion und Piazzola

Ein weiterer hochkarätiger Gast ist die israelische Kamea Dance Company mit einer fulminanten Produktion. In „Matthäus-Passion-2727“ lässt sich Tamir Ginz von Bachs großem Oratorium inspirieren. Ebenfalls ein Ereignis dürfte das Solo „Retrospectrum 1 — 5 solos for 5 decades“ von Tomi Paasonen sein. Der finnische Choreograf und Regisseur, der sich unter anderem mit Projekten für Behinderte und Strafgefangene einen Namen gemacht hat, tanzt zum ersten Mal seit 1997 selbst auf der Bühne. Inklusion und Partizipation sind Themen, die auch Ruben Renier beschäftigen. Sein Stück „displacement“ untersucht, wie es sich anfühlt, im falschen Körper zu sein. An diesem Abend hat das Publikum die Gelegenheit, selbst ganz ungezwungen mitzutanzen.

Tangotänzer wirken indes elegant, als würden ihre Körper mit der Musik verschmelzen. Beim Tangoabend „Piazzola tango/en tus Ojos“ übersetzt Choreograf Luciano Padovani mit seiner Compagnia Naturalis Labor das vibrierende Potenzial des Tangos in die Sprache des modernen Tanzes. Ebenfalls aus Italien kommt das Spellbound Contemporary Ballet, das für stilistische Experimente steht. Die Gruppe zeigt Arbeiten ihres Gründers Mauro Astolfi sowie von Marcos Morau und Marco Goecke.

Dass die Zeit manchmal viel zu kurz ist, zeigt das Beispiel von Pina Bausch. Die Ikone des zeitgenössischen Tanztheaters verstarb vor elf Jahren viel zu früh und noch voller Tatendrang. Trotzdem lebt ihr Vermächtnis, das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, weiter. Das weltbekannte Ensemble gastiert bei den Festspielen und damit dreht Goecke zur Abwechslung mal seine Uhr ein wenig zurück, denn der gebürtige Wuppertaler hat durch Bausch den ersten Kontakt zur Welt des Tanzes gehabt. ‹
Bildnachweis:
Marco Goecke / Foto: Regina Brocke

Festspiele Ludwigshafen

Die Festspiele Ludwigshafen sind eine feste Größe im Programm des Theaters im Pfalzbau. Jedes Jahr im Herbst präsentieren sie Schauspiel- und Tanzaufführungen auf höchstem Niveau. Neben einem hochkarätigen Tanzprogramm, das von einem externen Kurator oder einer Kuratorin ausgewählt wird, steht bei den Festspielen auch alljährlich eine renommierte deutschsprachige Bühne im Fokus, die sich mit mehreren Gastspielen in Ludwigshafen präsentiert. So waren in den vergangenen Jahren unter anderem das Wiener Burgtheater, die Münchener Kammerspiele oder das Deutsche Schauspielhaus Hamburg mit ihren Inszenierungen zu Gast.
TerminSA 03. Oktober bis SA 12. Dezember 2020
AdressePfalzbau Bühnen // Berliner Straße 30 // 67059 Ludwigshafen // Kartentelefon: 0621 5042558 // E-Mail: pfalzbau.theaterkasse@ludwigshafen.de
SpielortePfalzbau Bühnen
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