Institut für Digitaldramatik

Bühne oder Bildschirm?

„Meine Oma hat meinen Vater mit kurdischen Märchen gefüttert, mein Vater mich und ich füttere jetzt meinen Baby-Bot“, erläutert Zelal Yesilyurt in einer Videobotschaft, wie sie ihr kulturelles Erbe digital pflegen möchte. Den Text, den das Computerprogramm ausspuckt, wird die Regisseurin und Autorin dann inszenieren. Ein Projekt, das sie als Stipendiatin am Institut für Digitaldramatik entwickelt. Mit dessen Gründung am Mannheimer Nationaltheater reagieren die Dramaturgin Lena Wontorra und ihr Kollege Sascha Hargesheimer auf neue Tendenzen. Aus der Not heraus haben viele Theater während der Pandemie die Möglichkeiten des Digitalen ausgetestet. Dabei stellte sich schnell heraus, dass es nicht ausreicht, einfach Videos von analog entstandenen Produktionen zu streamen.

Ein gelungenes Beispiel war indes die Instagram-Performance von Arthur Schnitzlers „Fräulein Else“, die das Nationaltheater vor einem Jahr produziert hat. Das Besondere: Die Zuschauer*innen schlüpften in die digitale Rolle von Followern und begleiteten Else, die sich auf Drängen ihrer Eltern einem reichen Mann an den Hals werfen soll, durch den Mannheimer Hafen und in ein Hotelzimmer.

Bot, VR-Brille oder Social-Media-Kanal

Ziel des Instituts für Digitaldramatik ist es zu erforschen, mit welchen Formaten man auf virtuellen und hybriden Bühnen experimentieren kann. Wie verändert sich zum Beispiel die Autor*innenschaft, wenn deren Erzählung einem Bot eingepflanzt wird? Einen entscheidenden Unterschied zwischen den klassischen Dramatiker*innen und ihren Netztheaterkolleg*innen sieht Hargesheimer auch darin, dass Letztere das Stückformat mitberücksichtigen: „Schreibe ich für einen Bot, eine VR-Brille oder einen Social-Media-Kanal, das sind ganz wesentliche Fragen, die von vorneherein geklärt sein müssen“, betont Hargesheimer. Damit rüttelt die Digitaldramatik an der für unumstößlich gehaltenen Wahrheit aus 2.500 Jahren Geschichte, dass Theater Orte sein müssen, an denen man real zusammenkommt.

Das Ende der analogen Schauspielkunst?

Das Ende der analogen Schauspielkunst stehe laut den beiden Dramaturg*innen jedoch nicht bevor, Theater werde nur vielfältiger. „Eine Geschichte kann im Theatersaal, im Wohnzimmer oder am Computerbildschirm erzählt werden“, findet Wontorra. Und damit bleiben sich die Darstellenden Künste letztendlich treu. Zum kreativen Prozess gehören das Verjüngen, das Experimentieren mit neuen Formen und Sprachen sowie das Infragestellen von Gewohnheiten — und das seit 2.500 Jahren.


Institut für Digitaldramatik
10., 11. & 12.06. 2022, Online-Abschlusspräsentation der Stipendiat*innen
www.nationaltheater-mannheim.de
Bildnachweis:
Nationaltheater Mannheim

Nationaltheater Mannheim

Das Nationaltheater Mannheim ist eines der größten und ältesten kommunalen Repertoiretheater Deutschlands. Hervorragende künstlerische Leistungen, Ur- und Erstaufführungen machen es zum Flaggschiff der Stadt Mannheim und überregional zu einer der bedeutendsten Bühnen Deutschlands. Davon zeugen jährlich rund 1300 Vorstellungen für ca. 330.000 Besucher genauso wie eine überregionale Berichterstattung. In jeder Spielzeit stehen in den vier Sparten Oper, Schauspiel, Tanz und dem Jungen Nationaltheater sowie der Mannheimer Bürgerbühne ca. 35 Premieren und 65 Wiederaufnahmen auf dem täglich wechselnden Spielplan.
AdresseAm Goetheplatz // 68161 Mannheim // Telefon: 0621 1680 0 // E-Mail: nationaltheater.marketing@mannheim.de
ÖffnungszeitenKartentelefon: 0621 1680 150 // Telefonzeiten: Mo–Fr 9–19 Uhr // Sa 9–13 Uhr // E-Mail: nationaltheater.kasse@mannheim.de
Kartenvorverkauf: Theaterkasse am Goetheplatz // Mo–Sa 11–18 Uhr und an allen Vorstellungstagen i
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