Enjoy Jazz Festival

Am Anfang war der Jass

› Manhattan, 26. Februar 1917: Fünf Männer betreten ein Aufnahmestudio der Victor Talking Machine Company. Als sie das Gebäude wieder verlassen, sind zwei Stücke entstanden: der „Livery Stable Blues“ und „Original Dixieland One Step“. Mit der Veröffentlichung dieser Aufnahmen zwei Wochen später etabliert die „Original Dixieland Jass Band“ (ODJB) den „Jazz“ als neues musikalisches Genre. So wie zwanzig Jahre zuvor das automatisierte Klavier und der Offset-Druck von Noten den Ragtime angetrieben hatten und zehn Jahre später der Rundfunk dem Swing Wind unter die Flügel blasen wird, ist es nun die Schallplatte, die den Jazz populär macht.

Die Aura bleibt auf der Strecke

Das neue Medium befördert die Musik ins industrielle Zeitalter, entkoppelt die Musik von Ort und Moment der Aufführung, macht sie überall und jederzeit verfügbar und eröffnet ihr ein unbegrenztes Publikum. Kurz: Mit der Schallplatte tritt die Musik in das Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Auf der Strecke bleibt die Verbindung zu der Gemeinschaft, in der die Musik entsteht, die Aura von scheinbarer Authentizität.

In der Hafenstadt New Orleans, dem von der katholischen Feierkultur geprägten Tor zur Karibik, hatte sich der Jazz als Konglomerat aus afro-karibischen und Marschrhythmen entwickelt, aus europäischer Harmonielehre und der untemperierten Tonalität des Blues, aus dem Frage-und-Antwort-Spiel (nicht nur) afrikanischer Chorgesänge, aus dem Schmelz der Oper und aus vielem mehr. Die Musik war das Medium einer großen Vermischung, der Jazz ihr Manifest, und genau darin liegt noch heute seine kaum zu überschätzende Bedeutung. Es waren die Nachfahren der aus Afrika verschleppten Sklaven, die einen Großteil der Entwicklung dieser Musik trugen — schon weil sie gewaltsam von eigenen Überlieferungen getrennt waren. Doch während Bands in ihrem (professionellen) Alltag mit der Rassentrennung konfrontiert wurden, blieb die Musik selbst ethnisch farbenblind. So erklärt sich auch die große Hochachtung, die der Musik der aus fünf weißen Männern bestehenden ODJB auch von schwarzen Zeitgenossen und von Stars wie Louis Armstrong entgegengebracht wurde.

Von New Orleans nach Chicago

Dennoch zeichnet sich auch hier ein Vorwurf ab, der bis heute in der Jazzszene immer wieder zum Thema wird: Während schwarze Bands die Last der Entwicklung tragen, sind es häufig weiße Musiker, die mit dieser Musik Erfolg haben. So kann, so muss man das sehen, auch die ODJB war im Grunde ein kommerzielles Kunstprodukt: Gegründet, weil sich eine Marktlücke auftat, und durch clevere Entscheidungen zum Erfolg befördert. In diesem historischen Moment, als die Industrialisierung in den Nordstaaten Migrationsbewegungen aus dem Süden aus- und damit die überlieferten sozialen Bindungen auflöste, waren sie nach Chicago aufgebrochen, um den Sound der Musik aus New Orleans in den Norden zu bringen. Dort gingen die Meinungen über die Band auseinander. Die einen empfanden die neuen Rhythmen und Tanzweisen als anstößig, die anderen waren umso begeisterter. Nur langweilig fand diese Musik niemand.

Bewegungsdrang und seltsame Sounds

Einige Tage nach ihrem New-York-Debüt lädt sie die Victor Talking Machine Company zu Aufnahmen ins Studio ein. Schnell lassen die Verkaufszahlen die Millionengrenze hinter sich und definieren, was unter Jazz zu verstehen ist: Bewegungsdrang und seltsame Sounds. Und vor allem die Bereitschaft von Musikern und ihrem Publikum, sich unabhängig von ethnischen und sozialen Zuschreibungen immer wieder auf Neues einzulassen. Darauf kann der Jazz seit mehr als 100 Jahren setzen. Genau hierfür will das Internationale Festival für Jazz und Anderes ein Sinnbild sein. Und damit nicht zuletzt einem Jahrhundert Jazz und den ihn ermöglichenden Musikern Tribut zollen: Enjoy Jazz! ‹

Enjoy Jazz Festival

Seit seiner Premiere 1999 hat sich Enjoy Jazz zu einem international renommierten Festival und zum größten Jazzfestival Deutschlands entwickelt. Neben Legenden wie Ornette Coleman oder Wayne Shorter präsentiert das „Internationale Festival für Jazz und anderes“ immer auch die Größen der jüngeren Jazzgeneration und spannt den Bogen zu angrenzenden Genres wie Weltmusik, Elektronik, Hip-Hop und Klassik. Komplettiert werden die rund 70 Konzerte durch Workshops, Matineen, Partys und Vorträge.
TerminMO 02. Oktober bis SA 11. November 2017
AdresseEnjoy Jazz GmbH // Bergheimer Straße 153 // 69115 Heidelberg // Tel: 06221 5835850 // E-Mail: info@enjoyjazz.de
SpielorteVerschiedene Orte in und rund um Heidelberg, Mannheim und ­Ludwigshafen
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