Heidelberger Literaturtage

Bücher sind keine Gartenmöbel

> Eine Arche Noah für Bücher soll es sein. Mit diesem Gedanken eröffnet Clemens Bellut 2013 die Buchhandlung Artes Liberales in der Heidelberger Altstadt. Ein Plan, der fast so wagemutig wirkt wie der des biblischen Urvaters. Denn der leer stehende Laden am Kornmarkt, über dem er kurz zuvor eine Wohnung bezogen hat, ist alles andere als optimal. „Schmal und klein, eigentlich ein toter Raum“, gibt er freimütig zu. Doch ein Freund, der als Requisiteur am Theater arbeitet, hatte dann den zündenden Einfall, der den nur 20 Quadratmeter großen Raum heute wesentlich größer erscheinen lässt. Die Wandregale aus Bambus und geschichtetem Birkenholz haben unterschiedliche Größen. An der Devcke und am Boden sind die Bretter tiefer und in der Mitte schmaler. Auf diese Weise fühlt sich der Besucher wie in einem Schiffsbauch, darin verstaut ein mit Bedacht ausgewähltes Sortiment.

Astrid Lindgren neben Kant, Foucault und Derrida

Die Biografie von Astrid Lindgren findet sich hier genauso wie Schillers Dramen, Bände zu Tanz und Musik, Kant, Foucault oder Derrida. „Mein Schwerpunkt liegt auf Philosophie und Wissenschaft“, sagt der studierte Philosoph und Philologe. Für sein mutiges Konzept ist Bellut im September 2015 mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet worden.
  • Regina Kaiser-Götzmann, Monika Grütters buchhandlungspreis Heidelberger Literaturtage
    Großer Tag für Regina Kaiser-Götzmann (links): Staatsministerin Monika Grütters zeichnet die Inhaberin der Bücherstube an der Tiefburg mit dem Deutschen Buchhandlungspreis aus.
  • Heidelberger Literaturtage Buchhandlung Hassbecker
    Seit Anfang der 1980er Jahre eine Institution in der Altstadt: Hassbeckers Galerie und Buchhandlung.
Die Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters hat diese Auszeichnung für inhabergeführte Geschäfte in Deutschland mit einem Umsatz von weniger als einer Million Euro 2015 erstmals ausgeschrieben und wird den Preis auch in diesem Jahr vergeben. Initiatoren waren die Kurt Wolff Stiftung und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Die Resonanz ist sofort riesig: Über 614 Bewerber, die aus allen Winkeln der Republik kommen, aus der Provinz genauso wie aus den Metropolen, wollen den Preis gewinnen. Eine siebenköpfige Jury, geleitet von der Feuilletonchefin der Zeit, Iris Radisch, entscheidet darüber.

Für Clemens Bellut endet die Bewerbung mit einer Riesenüberraschung: Auf Anhieb bekommt er für sein innovatives Konzept einen der drei mit jeweils 25.000 Euro dotierten Hauptpreise. Er teilt sich die höchste Auszeichnung mit der Buchhandlung Moths in München und der „Roten Zora“ aus Merzig. „Ich bin sehr stolz“, freut er sich. „Denn die Begründung der Jury entspricht meinem innigsten Anliegen.“ Dazu gehören der Mut, in heutigen Zeiten eine Buchhandlung zu eröffnen, das anspruchsvolle literarische und philosophische Angebot und das Nebeneinander alter und heutiger Schriften.

Altstadt statt Amazon

In der Altstadt ist der aus Zürich zugezogene Mann inzwischen zu einer festen Institution geworden. Mit feinem Zwirn und Hut bekleidet versprüht der Mittfünfziger weltmännisches Flair. Zu seinen Kunden gehören Professoren und Wissenschaftler aus den Uni-Instituten in der Nachbarschaft, aber auch Altstadt-Bewohner und Studenten. „Ich widerspreche der Behauptung, dass die jungen Leute nur online bestellen“, betont Bellut. Bei Artes Liberales haben sie den Vorteil, dass sie es sich in einem mit rotem Samt bedeckten Liegestuhl bequem machen und schmökern können. Den Latte Macchiato dazu liefert die Espresso-Bar nebenan.

Viele dieser Aspekte hebt Ministerin Grütters in ihrer Laudatio bei der feierlichen Preisverleihung hervor: „Die klassischen Buchhandlungen sind unverzichtbar für den Erhalt des Kulturgutes Buch, für ein vielfältiges Verlagswesen, aber auch das kulturelle Leben vor Ort.“ Insgesamt 108 Buchhändlern verleiht sie in der Nationalbibliothek in Frankfurt ein besonderes Gütesiegel: Neben den drei Hauptgewinnern erhalten fünf Buchhändler jeweils 15.000 Euro und weitere 100 die Prämie von 7.000 Euro.

Zu diesen gehört auch die Handschuhsheimer Buchhändlerin Regina Kaiser-Götzmann. Im Norden von Heidelberg hat sie vor 34 Jahren ihr kleines Fachgeschäft eröffnet. „Davor habe ich in einem Verlag gearbeitet. Dort hat mir der Kontakt zu den Kunden gefehlt“, erläutert sie die Gründe für ihren Schritt in die Selbstständigkeit. Inzwischen ist sie mit ihrer Bücherstube zwei Mal umgezogen. Die heutigen Räume messen 130 Quadratmeter und sind ein wichtiger Treffpunkt im Stadtteil. Die Kundschaft ist breit gestreut — vom alteingesessenen Handschuhsheimer bis zu Professoren und zugezogenen Familien. Für sie alle bietet Kaiser-Götzmann ein abwechslungsreiches Programm, ob eine Lesetüte für Erstklässler, einen Literaturkreis für Jugendliche oder Kulturreisen für Erwachsene.

Außenseiter, Autodidakten, Analphabeten

Auch die Buchhandlung Egon Hassbecker ist mit einer Prämie von 7.000 Euro für ihre Aktivitäten belohnt worden. Wie die Bücherstube in Handschuhsheim gilt sie als Oase der Kultur. Wer in der Altstadt die holprige Haspelgasse zum Neckar hinunterläuft, steht bald vor dem kleinen Laden in einem gelb getünchten Barockhaus. Neben den bunt gemischten, auf Stühlen und Tischen gestapelten Büchern fallen sofort die farbenfrohen und plakativen Gemälde an den Wänden auf. Das Geschäft versteht sich als Galerienbuchhandlung und beherbergt in seiner Nachbarschaft auch ein kleines Museum für Outsiderkunst, vornehmlich aus Italien und Osteuropa. Schon in den 60er- Jahren pflegte der mittlerweile verstorbene Gründer Egon Hassbecker seine Leidenschaft für Kunst von Außenseitern, von Autodidakten, Analphabeten, psychisch Kranken oder Behinderten. Seit Hassbeckers Tod vor zwei Jahren führt seine Lebensgefährtin Barbara Schulz das Erbe mit Verve fort.

Die quirlige Frau mit dem blonden Lockenkopf macht so gut wie alles anders, als es gängige Unternehmensbibeln empfehlen. „Ich lebe meine schrankenlose Subjektivität aus“, sagt Barbara Schulz, die sich augenzwinkernd als büchersüchtig einstuft. „Ich bestelle 50 Exemplare eines Werkes auch dann, wenn ich nicht weiß, ob ich sie verkaufen kann.“ Im Herzen der Altstadt hat sie 1980 mit Hassbecker ein sehr persönliches Geschäftsmodell entwickelt.
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    Die Buchhandlung Egon Hassbecker ist ein Paradies für Freunde von guter Literatur und Outsiderkunst.
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    Eine Arche Noah für das gedruckte Wort: die Buchhandlung Artes Liberales in der Heidelberger Altstadt.
Die Einrichtung aus Dachlatten und Tischlerplatten haben die beiden nach dem Vorbild der Jugendstilkünstler selbst zusammengebaut und mit sechs Schichten weißem Lack übermalt. Die Möbel existieren noch heute und bis jetzt hat die Buchhandlung keinen Internetauftritt. Es kann passieren, dass Frau Schulz zwei Wochen lang nicht dazu kommt, ihre E-Mails auf dem im Hinterzimmer versteckten Computer zu beantworten. Dafür stehen die Türen des Ladens zu jeder Jahreszeit offen. Kunden aus ganz Deutschland schauen in diesem Refugium vorbei. Wie kaum ein zweitse verkörpert es das von Touristen, aber auch Einheimischen geliebte Heidelberger Flair.

Kultur statt Kommerz — auf diese einfache Formel lassen sich die Konzepte der drei Heidelberger Läden bringen. Sie begreifen Bücher noch als echtes Kulturgut und stellen ihre Sortimente nicht nach Flächenertrag und Verkaufsalgorithmen zusammen. Und genau solche Konzepte will der Deutsche Buchhandlungspreis belohnen und unterstützen. Oder wie es Ministerin Grütters in ihrer Preisrede treffend formulierte: Der Preis soll sicherstellen, dass Bücher auch künftig anders behandelt werden „als Gartenmöbel oder Staubsaugerbeutel“. <

Auch in diesem Jahr wird der Deutsche Buchhandlungspreis ausgeschrieben.
Weitere Informationen unter:
www.deutscher-buchhandlungspreis.de

feeLit – Internationales Literaturfestival Heidelberg

Das Internationale Literaturfestival Heidelberg ist ein unverzichtbarer Bestandteil der UNESCO-Literaturstadt Heidelberg. Das Festival, das seit 1994 stattfindet, bietet eine Vielfalt an literarischen Zugängen und Formaten. Neben Lesungen von deutschsprachigen und internationalen Autoren werden Autorengespräche, performative Formate, Ausstellungen, Musikveranstaltungen und Workshops angeboten. Verlage, Buchhandlungen, Büchereien präsentieren Autoren und Neuerscheinungen.
TerminDO 02. bis SO 05. Juni 2016
AdresseStadt Heidelberg // Marktplatz 10 // 69117 Heidelberg //Telefon: +49 (0)6221 5834859 // E-Mail: feeLit@Heidelberg.de
SpielorteSpiegelzelt auf dem Uniplatz und Universität
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    STEINUNN SIGUARDOTTIR — Der Eröffnungsabend der Heidelberger Literaturtage widmet sich der isländischen Literatur-Partnerstadt im UNESCO-­Netz­werk Reykjavik. Die isländische Autorin Steinunn Sigur­ðardóttir wird aus ihrem neuen Roman „Jojo“ lesen, ihr Werk vorstellen und über die Literaturstädte erzählen, in denen sie lebte und arbeitete.
    02. Juni 2016, 20 Uhr, Spiegelzelt auf dem Universitätsplatz Heidelberg
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    JEAN MATTERN — Der Roman „September“ des französischen Autors Jean Mattern erzählt die Geschichte zweier Journalisten, die bei den Olympischen Spielen in München 1972 Augenzeugen des Attentats durch die palästinensische Terrororganisation „Schwarzer September“ werden. Mattern hat das fürchterliche Drama minutiös recherchiert und erzählt es, wie es noch nie erzählt worden ist.
    03. Juni 2016, 18 Uhr, Spiegelzelt auf dem Universitätsplatz Heidelberg
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    VERSschmuggel — VERSschmuggel präsentiert den poetischen Grenzverkehr zwischen Russland und Deutschland: Deutsche Dichter sind nach Moskau gereist, um dort auf russische Dichterkollegen zu treffen und paarweise die Gedichte des anderen in die jeweils eigene Sprache zu übertragen.
    04. Juni 2016, 18 Uhr Spiegelzelt auf dem Universitätsplatz Heidelberg
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