Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim

Ein Museum forscht

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Lange vor Kolumbus
„Genau jetzt war der richtige Zeitpunkt“, freut sich Ronny Friedrich, Experte für Altersbestimmung am Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie (CEZA). Denn genau vor tausend Jahren, im Jahr 1021, so konnte sein Team im vergangenen Jahr zusammen mit Kolleg*innen der Universität Groningen nachweisen, waren die Wikinger einmal quer über die Weltmeere nach Neufundland gesegelt. Dieses Datum markiert damit auch den frühesten bekannten Zeitpunkt, an dem der Atlantik überquert wurde und die Migration der Menschheit schließlich den gesamten Planeten umspannte. Lange Jahre waren Holzfunde, die bereits in den 1970er-Jahren archiviert wurden, nicht als die Geheimnishüter erkannt worden, als die sie sich nun entpuppten. „Wir hatten hier nicht nur die Technik zur Verfügung, sondern auch die Expertise und die nötigen Vergleichsdaten, um die richtigen Schlüsse zu ziehen“, erklärt Friedrich. Normalerweise ermöglicht eine Altersbestimmung mit der C-14-Methode keine jahrgenaue Datierung, aber neue Erkenntnisse zu den Auswirkungen von Sonnenstürmen führten zusammen mit der Methode zur exakten Datierung. Das genaue Jahr konnte bestimmt werden, weil sich im Jahr 993 ein massiver Sonnensturm ereignete, der deutliche Spuren im Radiokohlenstoff (C-14) der Baumringe dieses Jahres hinterließ. Da sich dieser Anstieg der Radiokohlenstoffproduktion in Baumringarchiven weltweit nachweisen lässt, ist er als Basis für eine genaue Datierung bestens geeignet.

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    Wilfried Rosendahl (links), Generaldirektor der Reiss-Engelhorn-Museen sowie Leiter des Forschungsprojekts „Eiszeitfenster Oberrheingraben”, und Ronny Friedrich, Leiter des Klaus-Tschira-Labors im Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie, begutachten den Oberschädel eines Höhlenöwen.Der Oberschädel wurde im Rahmen des Projektes „Eiszeitfenster Oberrheingraben"untersucht. Eine Datierung mit der Radiokarbon-/14C-Methode im Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie ergab, dass dieses Tier vor etwa 32.000 Jahren in der Region Rhein-Neckar lebte.Foto: Maria Schumann
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    Backenzahn eines Flusspferdes Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, Altersdatierung: Zwischen 42.300 und 44.100 Jahre vor heute, Bobenheim-Roxheim, Rhein-Pfalz-Kreis, Foto: Rebecca Kind
Flusspferde mussten früher weniger schwitzen
Flusspferde lebten in der letzten Kaltzeit zur gleichen Zeit und am gleichen Ort wie Mammuts — und das vor unserer Haustür. Diese erstaunliche Tatsache konnten die Forscher der Reiss-Engelhorn-Museen anhand von 30 Flusspferdknochen nachweisen, die in Kiesgruben im Oberrheingraben gefunden worden waren. „Mammut und Flusspferd — das klang zunächst, als würden wir behaupten, die Antarktis und Afrika lägen an einem Ort“, erklärt Wilfried Rosendahl. Denn bisher war in der Forschung davon ausgegangen worden, dass Flusspferde nur in heißen Regionen leben können. Nach dieser Annahme hätten die hiesigen Funde 130.000 Jahre alt sein müssen, da die letzte Warmzeit in unseren Breiten so lange zurückliegt. Eine genauere Datierung mithilfe der Radiocarbon-Methode (C-14) wäre somit unmöglich gewesen, da das C-14 in dieser Zeitspanne vollständig abgebaut ist. „Wir wollten die Flusspferdfunde aber dennoch mit dieser Methode untersuchen, da wir den Verdacht hatten, dass die Knochen deutlich jünger sind“, erläutert Rosendahl. Unterstützung bekamen die rem-Forscher*innen von der Klaus Tschira Stiftung und dabei stellte sich Erstaunliches heraus: 28 der 30 Funde stammten von Flusspferden, die vor 48.000 bis 30.000 Jahren im Oberrheingebiet gelebt hatten. Eine Erklärung dafür, warum die Tiere offenbar auch in wesentlich kälterem Klima zurechtkamen, hatten die Forscher auch schnell gefunden: „Die heutigen Flusspferde verbringen den ganzen Tag im Wasser, weil es ihnen zu heiß ist“, erklärt Rosendahl. „Aller Wahrscheinlichkeit nach waren die Tiere damals auch tagsüber an Land und fraßen dort, was die Flusspferde heute nur nachts tun.“

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Die reine Wahrheit
Neben Fundstücken aus Holz, Knochen oder Gestein haben es die rem-Forscher auch mit sehr wertvollen Objekten aus Gold oder anderen Edelmetallen zu tun. In solchen Fällen ist meist Ernst Pernicka gefragt. Von 2006 bis 2012 war er Grabungsleiter in Troja, heute leitet er das Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie und gilt als einer der führenden Experten für die Analyse von Gold und Metallen. Bei einer solchen wissenschaftlichen Analyse gibt es jedoch viele Hindernisse, empfindlich, dass sie nicht auf Reisen geschickt werden können. Gleichzeitig sind unsere Geräte aufgrund ihrer Größe und Konstruktion ebenfalls nicht mobil.“ Aus diesem Grund hat Pernicka mit seinem Team eine Methode entwickelt, bei der mittels eines mobilen Lasergeräts geringste Materialproben von Gold und anderen Metallen entnommen werden können. „Dank dieser Technik können wir Proben entnehmen und diese zur Analyse in unser Labor mitnehmen, ohne dass die Objekte auf Reisen gehen müssen.“ Dies erlaubt es Pernicka aktuell, antike Goldfunde zu untersuchen, die von Heinrich Schliemann in Mykene ausgegraben wurden, um mehr über die Abbauorte der Bodenschätze zu erfahren. Und auch bei kriminalistischen Ermittlungen spielte diese Lasertechnologie eine wichtige Rolle. So konnten die Täter, die im Jahr 2017 die 100 kg schwere Goldmünze aus dem Bode-Museum raubten, unter anderem durch winzige Goldpartikel auf ihrer Kleidung überführt werden, die mit der Lasermethode analysiert worden waren. Diese Partikel bestanden aus 99,999-prozentigem Gold, das in so reiner Form in der Natur nicht vorkommt und eigens für Münzen hergestellt wird — von den 100-kg-Exemplaren gab es weltweit nur fünf Stück. ‹

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Forschungsstätte Reiss-Engelhorn-Museen

„Sammeln, bewahren, präsentieren und forschen“, lautet der Leitsatz der Reiss-Engelhorn-Museen — und das völlig zu Recht, wie Generaldirektor Wilfried Rosendahl bestätigt: „Die rem zählen als Forschungsmuseum zu den führenden Einrichtungen in Europa.“ Hier trifft ganz alt auf ganz neu: Auf rund 2.000 Quadratmetern befinden sich Archivkammern mit Fundstücken wie Steinen, Knochen und Holzstücken neben modernster Analyse-Technik. Das Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie (CEZA) krönt diesen Forschungsstandort seit 2004. Das international renommierte Institut ist spezialisiert auf die naturwissenschaftliche Analyse von archäologischen Objekten und Kulturgütern. Ergebnisse der hauseigenen Forschung fließen direkt in große Sonderausstellungen ein, daneben arbeitet das CEZA mit Landesdenkmalämtern, geologischen Landesdiensten, Landeskriminalämtern, Prüfanstalten und anderen Forschungseinrichtungen zusammen.
Bildnachweis:
Beschleuniger für die C-14-Methode © rem, Foto: Carolin Breckle

Reiss-Engelhorn-Museen

Die Reiss-Engelhorn-Museen sind ein international agierender Museumsverbund mit vier Ausstellungshäusern im Herzen Mannheims. Ihr breites Sammlungsspektrum und ihre Sonderausstellungen vermitteln kulturgeschichtliche Vergangenheit und Gegenwart. Außerdem werden drei Forschungseinrichtungen betrieben. Mit all diesen Aktivitäten haben sich die Reiss-Engelhorn-Museen weit über die Region hinaus einen Namen gemacht.
AdresseReiss-Engelhorn-Museen // Museum Weltkulturen D5 // 68159 Mannheim // Telefon: 0621 2933150 // E-Mail: reiss-engelhorn-museen@​mannheim.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag (auch an Feiertagen) 11–18 Uhr
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