Wilhelm-Hack-Museum

Eigenleben der Formen

› Herr Zechlin, die Bilder von Thomas Scheibitz stiften beim Betrachten Verwirrung: Man meint etwas zu erkennen, kann es aber nicht richtig einordnen. Was ist da los?
Dieser Eindruck ist sicher richtig. Im Zentrum des Werkes von Thomas Scheibitz steht nämlich immer wieder das Verhältnis von Gegenstand und Abstraktion. Er befragt in seinem Werk dieses Verhältnis immer wieder neu. Ist beispielsweise der gemalte Buchstabe „A“ abstrakt oder gegenständlich? Der Buchstabe ist ein abstraktes Zeichen, wird bei Scheibitz aber zur gegenständlichen Form, da er auf eine Realität außerhalb des Kunstwerkes verweist. Der Künstler löst so verschiedenste Formen wie Architekturen, Buchstaben, Spielkarten, Häuser, Vögel und Landschaften von ihren Vorbildern, vereinfacht sie und verleiht ihnen ein Eigenleben. Die Formen verselbstständigen sich, werden zum Teil skulptural und kehren zurück in die Bilder. So schafft Scheibitz sich sein eigenes System aus Formen und Farben, die immer wieder zu einer neuen Bildwelt zusammengesetzt werden

In welchem Zusammenhang steht das mit dem Arbeitsprozess des Künstlers?
Die Veränderung der Formen ist fester Bestandteil von Scheibitz’ Arbeitsprozessen. Jeden Tag fotografiert er das Stadium eines Gemäldes und fasst alle Dokumentationen als „manipulierten Index“ zusammen. Auch wenn die Grundanlage und Komposition der Bilder von Beginn an zu erkennen ist, verändern sich die einzelnen Bildelemente kontinuierlich. Manche Elemente verschwinden, kehren in anderer Form wieder, werden zwei- und dann wieder dreidimensional. Auf diese Art und Weise entsteht etwas, was man als „dynamische Abstraktion“ bezeichnen könnte.

Welche Werke gibt es in der Ausstellung zu sehen?
Wir zeigen mehr als siebzig Arbeiten, wobei mehr als die Hälfte aller gezeigten Werke neu für die Ausstellungen in Bonn und Ludwigshafen entstanden sind. Den neuen großformatigen Werkserien stellen wir ausgewählte Arbeiten aus den Jahren 1995 bis 2016 gegenüber. So sollen Entwicklungslinien, Kontinuitäten, aber auch Neuansätze des Werkes von Scheibitz für die Besucherinnen und Besucher sichtbar werden.

Welche Themen und Entwicklungen sind das?
Beispielsweise bildeten Landschaften bis zum Anfang der 2000er-Jahre bei Scheibitz immer wieder den Ausgangspunkt seiner Bildfindungen. Die Landschaft selbst war dabei für Scheibitz weniger von Interesse. Vielmehr ging es ihm um die Eröffnung eines Bildraumes, indem einzelne Bildelemente miteinander agieren. Architekturen sind so zwar als Vorbilder der Bildelemente erkennbar, doch tendieren sie deutlich zur Abstraktion. In späteren Werkgruppen verschwindet die Landschaft und wird unter anderem durch bühnenartige „leere Räume“ ersetzt. Häufig verzichtet Scheibitz auch auf perspektivische Bildräume und reiht die einzelnen Elemente stilllebenartig am unteren Bildrand auf.
  • Bildtitel als Kommentar. Ob Sie Orientierung geben oder Irrtieren, ist Ansichtssache. Die Bildtitel gehören für Scheibitz mit zum Kunstwerk. Wie in "Flatland" (2017)...
  • oder in Kapital VIII...
  • oder bei der "Kanne" aus dem Jahr 2003.
  • Der Künstler Thomas Scheibitz wurde 1968 in Radeberg geboren, vor allem für seine Beteiligung am deutschen Pavillon auf der Biennale Venedig im Jahr 2005 erhielt er internationale Beachtung.
  • René Zechlin, Museumsdirektor und Kurator der Scheibitz-Ausstellung.
Was hat es mit dem Ausstellungstitel „Masterplan\kino“ auf sich?
Der Titel stammt von Scheibitz selbst, der seine Bildtitel parallel zu den Werken generiert und ihnen als Kommentar zuweist. „Masterplan\kino“ verdichtet zwei wesentliche Aspekte in seinem Schaffen: Konzept und Bild. Er selbst sagt, dass ein Kunstwerk wie ein „Masterplan\kino“ sei. Einerseits gibt es das Bild, das Kino, in dem die Kinoleinwand mit der Wand im Museum zu vergleichen wäre. Der Masterplan ist das Konzept, das dahintersteht. Beim Betrachten eines Werkes findet man Anteile, die man erkennt und für die man bereits Worte hat. In den ausgestellten Bildern ist dies etwa ein Buchstabe, ein Apfel, oder Ähnliches. Daneben gibt es Anteile, für die man erst Worte finden muss. Oder mit Scheibitz’ Worten: „Es geht um eine Bildsprache der gesehenen, verständlichen und unverständlichen Welt.“ ‹

Zum Künstler
Thomas Scheibitz, 1968 in Radeberg bei Dresden geboren, hat seit seinem großen internationalen Auftritt im deutschen Pavillon auf der Biennale Venedig 2005 stetig an Aufmerksamkeit und Bedeutung gewonnen. Er war mit Einzelausstellungen unter anderem im MMK Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, im Camden Arts Centre, London, und im Musée d'Art Moderne Luxembourg vertreten; zudem war er an zahlreichen nationalen und internationalen Gruppenausstellungen beteiligt. Scheibitz gehört heute zu den international beachteten künstlerischen Positionen seiner Generation. Seit Anfang dieses Jahres ist Scheibitz Professor für Malerei an der Düsseldorfer Kunstakademie.


Thomas Scheibitz — Masterplan\kino
19. Mai bis 12. August 2018
Wilhelm-Hack-Museum
www.wilhelmhack.museum
Bildnachweis:
Thomas Scheibitz, „Flatland“, 2017, Foto: Gunter Lepkowski/„Kapital VIII“,
2017, Foto: Studio Thomas Scheibitz/„Cross and Valley“, 2006 und "Kanne", 2003, Foto: Jens Ziehe alle:
© VG Bild-Kunst, Bonn 2018; Atelier Thomas Scheibitz (Scheibitz)

Wilhelm-Hack-Museum

Wahrzeichen des Wilhelm-Hack-Museums ist seine Keramikfassade, die Joan Miró 1980 gestaltete. Heute gilt das Haus als das wichtigste Museum für die Kunst des 20. und 21.Jahrhunderts in Rheinland-Pfalz. Seine Schwerpunkte liegen auf der Klassischen Moderne, aber auch auf der konstruktiv-konkreten Kunst nach 1945. Profilierte Sonderausstellungen, Workshops und ein breit gefächertes Veranstaltungsprogramm machen das Museum zu einem kulturellen Zentrum von Ludwigshafen.
AdresseWilhelm-Hack-Museum // Berliner Straße 23 // 67059 Ludwigshafen // Telefon 0621 5043045 // E-Mail: hackmuseum@ludwigshafen.de
ÖffnungszeitenDienstag, Mittwoch & Freitag 11–18 Uhr // Donnerstag 11–20 Uhr // Samstag, Sonntag & Feiertage 10–18 Uhr
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