Reiss-Engelhorn-Museen

Barockes Beben

› Alles nur Pfeffersäcke? Weil sich sein Vater mit der Niederländischen Ostindien-Kompagnie (VOC) angelegt hatte, musste Jacob le Maire einen neuen Weg zu den ostindischen Gewürzinseln finden. Die Handelsgesellschaft reklamierte auf den Seeweg ein Monopol und verbot dem Landsmann, die bekannte östliche Route um den afrikanischen Kontinent zu nutzen. Aus der Not heraus umrundete er 1616 als erster Europäer Kap Horn, das Südende Amerikas. Ruhm brachte ihm das zu Lebzeiten nicht ein. Im Gegenteil: Als er auf Java an Land ging, beschuldigte ihn der dortige Statthalter, die verbotene Strecke befahren zu haben, und schickte den Pionier in Ketten zurück
in die Heimat. Le Maire starb unterwegs.

Unterwegs auf den sieben Weltmeeren

Das Segeln war zu jenen Zeiten kein gemütliches Altherrenvergnügen, sondern Extremsport. Immer wieder bedrängten Freibeuter, Piraten und Abenteurer die anderen Seefahrer. Zudem stießen die segelnden Seefahrer immer wieder in unbekannte, nicht selten auch gefährliche Reviere vor. Nicht nur das Kap Horn, auch die Nordwestpassage zwischen dem Atlantischen und dem Pazifischen Ozean wurde in der Epoche des Barocks entdeckt. Doch es gab auch Expeditionen, die dramatisch im Packeis endeten, wie die Versuche, über das Weiße Meer die Beringstraße zu erreichen. Dem Pioniergeist und der Reiselust von Adeligen, Künstlern und Gläubigen widmet die Ausstellung „Barock — Nur schöner Schein?“ ein ganzes Kapitel. Zu sehen sind Dokumente der neu entfachten Mobilität: kunstvoll gestaltete Kartenwerke, die ersten Globen und Modelle von Karavellen. Eine Geruchsstation macht vertraut mit den Handelsgütern der Epoche — den Gewürzen.
  • reiss engelhorn museen mannheim barock Conrad Hagger
    Alles Barock, oder was? Die Ausstellung im Museum Zeughaus präsentiert die Epoche anhand ganz unterschiedlicher Themenbereiche. Barocke Kochkunst, wie hier vertreten 1718 erschien das prächtige Kochbuch von Conrad Hagger, Leibkoch der Salzburger Fürsterzbischöfe, steht ebenso im Fokus wie …
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    der exaltierte Körperkult, wie er in der Minitaur „Der Kinderputz“ vom Frankenthaler Porzellanmeiser Franz Conrad Linck dargestellt wird, oder ….
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    … die barocke Reiselust, die zu Erfindungen wie dem Reiseschreibtisch führte.
Rund 300 Exponate umfasst die Präsentation insgesamt, darunter auch hochkarätige Gemälde von Rembrandt, van Dyck und Artemisia Gentileschi, einer der wenigen Frauen der barocken Kunstgeschichte. Erstmals befasst sich eine Barock- Ausstellung nicht nur mit einzelnen Künstlern oder Genres, mit regionalen Kulturlandschaften oder besonderen Phänomenen, sondern vereint Kunst, Literatur, Musik, Geschichte, Wissenschaft, Religion und Alltag.

Hexenwahn versus Aufklärung

Die kulturhistorische Schau entkräftet das weit verbreitete Klischee vom Barock als einem Zeitalter, in dem allein Dekadenz und Überfluss herrschten. „Die Jahre zwischen 1580 und 1710 waren eine Zeit voller Widersprüche“, betont Projektleiter Dr. Christoph Lind. Neben den üppigen Rubensfrauen galt ein klassisch antikes Schönheitsideal. Hexenverfolgungen standen wissenschaftlicher Rationalität gegenüber. Während die einen rauschende Feste feierten, litten die anderen an den katastrophalen Folgen verheerender Kriege.

Mit dem Ausbruch des 30-jährigen Kriegs im Jahr 1618 brachen im Herzen Europas finstere Jahrzehnte an. Bis zum Westfälischen Frieden (1648) wurden ganze Landstriche verwüstet und fast komplett entvölkert. Zahllose Menschen starben bei Schlachten, Raubzügen, in Feuersbrünsten oder durch Seuchen. Es folgten politische Konflikte wie die Kriege des Sonnenkönigs oder der Spanische Erbfolgekrieg. Gemälde mit Kriegsmotiven, Allegorien des Sterbens bis hin zu Darstellungen des Kannibalismus bilden menschliche Abgründe in jenen Jahren ab.

Urin von jungen Hunden

Perücke, Puder, Pomp? Natürlich hat in einer Barock-Ausstellung auch der exaltierte Kult, der um den eigenen Körper betrieben wurde, seinen Platz. Es gab kuriose Auswüchse, wie der Tagebucheintrag des englischen Staatssekretärs und Chronisten Samuel Pepys von 1664 deutlich macht: „Ärgerlich über meine Frau, die sich den Urin von jungen Hunden ins Gesicht geschmiert hat — wie Tante Wight, die damit etwas gegen ihr hässliches Gesicht tun will.“ Zu welchen Mitteln die Menschen griffen, um ihren Schönheitsidealen zu entsprechen, lassen die ausgestellten Haarteile, Korsette, Schmink-Utensilien, Puder und Pasten erahnen.

Wer nach den vielen Eindrücken aus dem Museum Zeughaus C5 wieder hinaus ins Mannheim von heute tritt, ist mittendrin im Barock: denn die Mannheimer Innenstadt war einst ein Musterbeispiel für die Stadtplanung der Epoche — das Schloss, die Jesuitenkirche und das streng in Quadraten gegliederte Zentrum, sie alle gehen auf das goldene Zeitalter der Baukunst zurück. Und dank des eigens für das Projekt gegründeten Netzwerks „Barockregion“ rücken auch die Sehenswürdigkeiten der Epoche im Umland ins Rampenlicht. Barock bringt die ganze Region zum Beben. ‹

Barock — Nur schöner Schein?
11. September 2016 bis 19. Februar 2017
Museum Zeughaus C5, Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim

Reiss-Engelhorn-Museen

Die Reiss-Engelhorn-Museen sind ein international agierender Museumsverbund mit vier Ausstellungshäusern im Herzen Mannheims. Ihr breites Sammlungsspektrum und ihre Sonderausstellungen vermitteln kulturgeschichtliche Vergangenheit und Gegenwart. Außerdem werden drei Forschungseinrichtungen betrieben. Mit all diesen Aktivitäten haben sich die Reiss-Engelhorn-Museen weit über die Region hinaus einen Namen gemacht.
TerminSO 11. September 2016 bis SO 19. Februar 2017
AdresseReiss-Engelhorn-Museen // Museum Weltkulturen D5 // 68159 Mannheim // Telefon: 0621 2933150 // E-Mail: reiss-engelhorn-museen@​mannheim.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag (auch an Feiertagen) 11–18 Uhr
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