Wilhelm-Hack-Museum

„Die Sonne einfangen“

› Herr Saraceno, Ihr neues Projekt „Aerocene“ ist gerade in Ludwigshafen zu sehen. Was steckt hier dahinter?

„Aerocene“ ist eine Einladung an alle, einen Zeit- abschnitt beziehungsweise eine neue Epoche zu gestalten. Es ist eine Plattform, die eine Gruppe von vielen verschiedenen Menschen zusammenbringen soll, um gemeinsam über ein Leben ohne fossile Brennstoffe und über eine alternative Zukunft nachzudenken. Mit „Aerocene“ schweben wir auf einer neuen Ebene der Vorstellungskraft. Das Projekt soll zeigen, wie eine Reihe mit Luft gefüllter Skulpturen in der Lage wäre, in einer langen Reise um die Welt zu fliegen — und das ohne die Verwendung von fossilen Brennstoffen, Solarzellen, Batterien oder synthetischen Gasen. Am Tag erhalten die Skulpturen allein durch Sonnenwärme — ohne Batterie, Motor oder anderen Treibstoff — und in der Nacht durch die Infrarot- Strahlung der Erdoberfläche Auftrieb.


Wie kam es zu dieser Idee?

Als Kunstprojekt gestartet, drehte sich die Diskussion mit einer Gruppe von Künstlern, Designern, Wissenschaftlern und Aktivisten rasch um ökologische Probleme, wie die akute Umweltverschmutzung und unsere Abhängigkeit von fossilen und aus Kohlenwasserstoff bestehenden Treibstoffen. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Energiekrise sucht das Projekt nach Lösungen für ein nachhaltiges Reisen, Leben und Forschen, um die biologische Vielfalt unserer Erde auf Dauer zu erhalten.


Man könnte Sie als engagierten Ingenieur, künstlerischen Forscher und Öko-Enthusiasten beschreiben. Wie sehen Sie sich selbst?

Lassen Sie uns nicht in fixen Kategorien denken. Denn nur so können wir von den neuen Erkenntnissen, vom Austausch zwischen Kunst und Wissenschaft, Astrophysik, Biologie, Ingenieurswesen, Architektur und welcher Disziplin auch immer profitieren. Es geht darum, unseren Planeten — seine Geschwindigkeit, seine Atmosphäre, seine Probleme — besser zu verstehen. Mich treibt nicht nur ein Forscherdrang an, sondern auch das Bedürfnis, mit Menschen zusammenzuarbeiten, über menschliche Wesen hinaus den Kosmos zu definieren, und zwar in „Aerocene“, dem Zeitalter der Luft. Wir arbeiten aktuell mit der NASA, der französischen Raumfahrtagentur CNES und dem Massachusetts Institute of Technology zusammen, die mit Messgeräten die Flüge begleiten. Und mit der jüngsten Erfindung, dem Aerocene Explorer, einem Fesselflug-Starterkit, wollen wir eine Beta-Version ermöglichen: Jeder kann ganz individuell sein eigenes Aerocene erleben und erfahren.


Wie sieht dieses Starterkit konkret aus?

Jedes Kit besteht aus Temperaturfühlern, Sensoren und einem GPS-Tracker. So kann jeder seine eigene Skulptur aufsteigen lassen und Messungen durchführen. Aber an allererster Stelle ist es ein Kunsterlebnis, eine Performance, die ich mit anderen teilen möchte.


Die Menschen können an Ihrer Kunst und Forschung also direkt teilhaben, auch in Ludwigshafen. Das „Museo Aero Solar“, eine gigantische Skulptur aus gebrauchten Plastiktüten, ist im Wilhelm-Hack-Museum begehbar und erscheint wie eine Kathedrale der Nachhaltigkeit. Während der Ausstellung soll ein weiteres Museo entstehen. Denken Sie, dass Kunst die Welt verändern kann?

Hier zeigt sich, wie ein gemeinschaftliches Projekt aus individuellen Taten entstehen kann und welches Potenzial in einem an sich umweltverschmutzenden Produkt steckt. Die Sammlung aus mehr als 20.000 Plastiktüten, die in Ländern wie Kolumbien, Kuba, Frankreich, Deutschland, Italien, Palästina, der Schweiz, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder den USA gesammelt wurden, zeigt das Bedürfnis, die Sonne einfangen zu wollen. Die Kunst bietet das beste Umfeld für Experimente, Erkundungen und für das Umdenken von bestehenden, aber auch von zukünftigen Verhältnissen. Doch zuallererst bietet sie die Möglichkeit, mit vielen Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenzuarbeiten. Das ist das schönste Kunsterlebnis, das man haben kann. ‹


Tomás Saraceno — Aerosolar Journeys
bis 30. April 2017
Dienstag, Mittwoch und Freitag 11–18 Uhr, Donnerstag 11–20 Uhr, Samstag, Sonntag und Feiertage 10–18 Uhr
www.wilhelmhack.museum

Tomás Saraceno ist nicht nur Künstler und Architekt, sondern auch Forscher, Ökologe und Gesellschaftstheoretiker. So spielerisch viele Ideen und Skulpturen auch sind, so ernsthaft beschäftigt sich der 43-jährige Argentinier mit ökologischen Fragen der Erde. Seine Arbeit versteht er als stetige Forschung. Im internationalen Kunstbetrieb sorgt er damit immer wieder für Aufsehen.

Wilhelm-Hack-Museum

Wahrzeichen des Wilhelm-Hack-Museums ist seine Keramikfassade, die Joan Miró 1980 gestaltete. Heute gilt das Haus als das wichtigste Museum für die Kunst des 20. und 21.Jahrhunderts in Rheinland-Pfalz. Seine Schwerpunkte liegen auf der Klassischen Moderne, aber auch auf der konstruktiv-konkreten Kunst nach 1945. Profilierte Sonderausstellungen, Workshops und ein breit gefächertes Veranstaltungsprogramm machen das Museum zu einem kulturellen Zentrum von Ludwigshafen.
Terminbis 30. April 2017
AdresseWilhelm-Hack-Museum // Berliner Straße 23 // 67059 Ludwigshafen // Telefon 0621 5043045 // E-Mail: hackmuseum@ludwigshafen.de
ÖffnungszeitenDienstag, Mittwoch & Freitag 11–18 Uhr // Donnerstag 11–20 Uhr // Samstag, Sonntag & Feiertage 10–18 Uhr
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